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Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Titel: Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Maria Herbst
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wieder meinen Tarnschnäuzer an. Wie heißt es vollkommen zu Recht in dem berühmten chilenischen Sprichwort: Nur wer aussieht wie die anderen Nazis, fällt nicht auf.

16
    Der Abend
    Schlagartig wird unserem Ort noch das bisschen Zauber genommen, das er sich mühsam über den Tag erarbeitet hat, und er fällt zurück in einen Zustand, der jede Abrissbirne in Verzückung versetzen würde, denn – die Sonne geht unter.
    Unser Häuflein hat sich entschlossen, heute Abend seine Zuflucht in ein wenig Kultur zu finden. Immer nur saufen ist auch keine Lösung – und werden wir danach eh wieder tun.
    Wir gehen ins Theater. Wenn wir die auf den verdreckten Straßen umherfliegenden Flyer richtig verstanden haben, wird uns ein Tangoabend versprochen. Die Negativeren unter uns sind der Meinung, es könne sich dabei auch um einen Vortrag des chilenischen Kulturattachés über »Historie und Relevanz des argentinischen Gesellschaftstanzes vom Mittelalter bis zur Moderne« handeln. Letztlich entschied aber die schwache positive Mehrheit, das Wagnis einzugehen, wenngleich stark eingeschüchtert von der Aussicht, zwei Stunden lang einem uncharismatischen Redner zuhören zu müssen, der uns in einem unklimatisierten Raum auf Spanisch irgendwas vom Pferd erzählt.
    Was soll ich sagen – der Abend war kracha.
    Es wurde getanzt, und unsere Negativzelle wirkte fast ein wenig eingeschnappt, dass sie nicht recht behalten hatte.
    Am Ende waren es aber alle zufrieden.
    Die drei tanzenden Paare arbeiteten ihre Choreographien auf höchstem Niveau virtuos ab und es stellte sich tatsächlich, bis hoch zu unserem zweiten Rang, etwas von der diesem Tanz innewohnenden Erotik ein, deretwegen er zu Recht seit Jahrhunderten so fasziniert.
    Zwischendurch immer mal wieder charmant unterbrochen wurde die Darbietung von einem würdevollen, graubärtigen Herrn, der singend chilenisches Volksgut zum Besten gab, wenn er nicht durch Moderationen das dahinschmelzende Publikum bei Laune hielt. Immer wieder beömmelten sie sich oder stiegen in einen Kanon ein. Mir fiel auf, dass die attraktiven Teamdamen neben mir es süß fanden, wenn ich schon mal eine Melodie mitsummte. Ich überlegte mir, wie sie es dann wohl finden würden, wenn ich sogar bei den Moderationen mitlachte?
    Gedacht, getan.
    Wie ein ausländischer Gast auf dem
Wetten, dass …?!
-Sofa, der ja auch immer leicht zeitverzögert seine Simultanübersetzung empfängt, schüttete ich mich, sobald ich spürte, dass der Körper der neben mir sitzenden Chilenin zu wackeln anfing, mit einer knapp einsekündigen Verzögerung schallend aus und übernahm sogar den Tonfall ihrer Salven, denen ich wie ihr Echo folgte. Am Ende war ich ihr gelehrigster Schüler und unterbot die Sekunde um bis zu siebzig Prozent.
    Unsere Blondinen waren nicht schlecht beeindruckt von mir, mussten sie doch denken, ich spräche fließend Spanisch. Die eine beugte sich über mich und fragte flüsternd, was er gesagt habe, was ich natürlich weltmännisch an mir abtropfen ließ:
     
    »Das ist ein ganz ein Verrückter, ist das, muahahahahaha … pfffffffffffft …!«
    »Wieso? Was genau hat er denn gesagt?«
    »Hm? Aaach, das würde jetzt zu weit führen, wenn ich das …«
    »Och, ich hab Zeit …«
     
    Stimmt. Die hatte sie.
    Und die Nacht war knalla.

17
    Sonntag, 17. Januar, immer noch Viña del Mar
    Übermorgen geht es dann auf einem 13-Stunden-Flug Richtung Australien nach Französisch-Polynesien, genauer Bora Bora, unserem letzten Bestimmungsort, wo wir unser filmisches Kleinod zu Ende gurken werden.
    Mein persönlicher nächster Drehtag wird in zwei Wochen sein.
    Vollbeschäftigung sieht anders aus.
    Da ich keine Lust habe, mich immer nur voll zu beschäftigen, habe ich beschlossen, den morgigen und letzten Tag hier einmal ohne Alkohol zu erleben. Auf dem Plan steht eine privat durchgeführte Tour in die nur einen Steinwurf entfernte Hauptstadt des länglichen Landes, Santiago de Chile. Aber mein Vorsatz gilt erst für morgen und so zeige ich am Abend unserem Grappafreund noch einmal, was die deutsche Leber so bekannt gemacht hat.
     
    Ich genieß das hier. Der so durch und durch entschleunigte Südamerikaner vermag es, einen mit seiner »¡Hasta mañana!«-Haltung zu infizieren. Und wer glaubt, die wörtliche Übersetzung sei »bis morgen!«, wird sich überrascht sehen, es heißt lediglich »heute keinesfalls, vielleicht übermorgen …« Diesen Infekt hat man gern und man bleibt mit Freuden länger krank. Ich

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