Ein Traummann auf Mallorca
Frage riss ihn aus seinen Gedanken. „Du hast doch eben gesagt, wir sind gleich da.“
Javier lachte. „Keine Sorge, mi corazón , jetzt ist es wirklich nicht mehr weit. Nur ein paar Minuten noch.“
Er schaltete einen Gang herunter und lenkte den Wagen durch die nächste Kurve. Dabei lächelte er. Zumindest die kommenden paar Stunden wollte er über nichts Berufliches mehr nachdenken.
Dieser Nachmittag sollte Aurora und ihm gehören.
Überrascht blickte Charlene sich um. So weit das Auge reichte, sah sie nur Felder, Wiesen und kleine Steineichenwäldchen. Es war ein hübsches, eher landwirtschaftlich geprägtes Gebiet, wie es sie im Landesinneren von Mallorca häufig gab. War dem großen Javier Santiago wirklich kein besseres Ziel für einen gemeinsamen Ausflug mit seiner Tochter eingefallen? Sie konnte sich kaum vorstellen, dass er so fantasielos sein sollte.
Als sie wenige Minuten später Auroras begeisterten Jubelschrei vernahm, wusste sie, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Kurz drauf entdeckte auch sie den Wegweiser am Straßenrand, auf dem stand: Zoo Natura Parc.
Charlene lächelte zufrieden. Wenn das kein guter Anfang war … Sie selbst hatte ihre gesamte Kindheit auf Mallorca verbracht, ohne je einen der Zoos auf der Insel zu besuchen. Ihr Vater war immer viel zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt gewesen, um überhaupt auf die Idee zu kommen, dass seine kleine Tochter sich womöglich über einen solchen Ausflug gefreut hätte. Vielleicht waren ihm ihre Gefühle aber auch gleichgültig gewesen.
Wenn sie an all die verpassten Gelegenheiten dachte, wurde ihr jedes Mal aufs Neue schwer ums Herz. Schulfeiern, zu denen Graham Beckett nicht erschienen war, obwohl er es ihr versprochen hatte. Sportveranstaltungen, Kindergeburtstage, Weihnachtsfeste … Die Liste ließ sich endlos fortsetzen, aber am schlimmsten hatte sie darunter gelitten, dass ihr Vater gar nicht zu realisieren schien, wie weh er ihr damit tat. Heute, mit ein wenig Abstand, verstand sie seine Beweggründe besser, was aber nicht bedeutete, dass sie sie gutheißen konnte. Er hatte einfach nie verwunden, dass er von seiner Frau, Charlenes Mutter, verlassen worden war. Um sich abzulenken, hatte er sich in seine Arbeit gestürzt und nichts anderes mehr an sich herankommen lassen. Auch nicht seine Tochter, die ihn nur zusätzlich an all das erinnerte, was er verloren hatte.
Charlene wollte nicht, dass Aurora dasselbe durchmachen musste. Das Kind sollte den Schmerz und die Zurückweisung nicht erfahren, die im schlimmsten Fall dazu führten, dass Liebe in Hass umschlug. Denn genau das hatte Charlene erlebt. Und sie wusste heute, dass ihr Weggang aus Mallorca die einzige Chance für Graham und sie gewesen war. Nur so hatte sie den erforderlichen Abstand gewonnen, um die Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachten zu können.
„ Papá, Papá , schauen wir uns die Zebras an? Und auch die Affen?“
Javier brachte den Wagen auf einem kleinen, staubigen Parkplatz zum Stehen und lächelte. Charlene sah es nur im Rückspiegel, doch es reichte aus, um ihr Herz schneller schlagen zu lassen.
Sie atmete tief durch. Gib acht, dass du dich nicht immer wieder so von ihm aus dem Konzept bringen lässt, mahnte sie sich. Er war ihr Boss, und außerdem der Mann, der ihren Vater in den Ruin zu treiben drohte. Sie beide verband auf dieser Welt nur eine Gemeinsamkeit: die Sorge um das Wohl der kleinen Aurora. Und das war auch das Einzige, was sie interessieren sollte. Nicht sein Lächeln, nicht die kleinen Grübchen, die sich dabei auf seinen Wangen bildeten. Und schon gar nicht das Spiel seiner Oberarmmuskeln, die sich unter seinem eng anliegenden Poloshirt abzeichneten, als er aus dem Wagen stieg.
Hör auf damit, Charlene Beckett! Sofort!
„… ist augenblicklich nicht zu erreichen – bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt wie…“
Fluchend schob Dolores ihr Mobiltelefon zurück in die Tasche. Sie hatte versucht, Javier anzurufen, doch anscheinend war sein Handy abgeschaltet. Das tat er sonst nie, da er in dringenden Firmenangelegenheiten immer erreichbar sein wollte.
Vermutlich war auch dies dem schlechten Einfluss der Engländerin zu verdanken, die Javier als Kindermädchen für Aurora eingestellt hatte. Sie war Dolores vom ersten Moment an ein Dorn im Auge gewesen. Nicht nur, dass sie ein unverschämtes Auftreten hatte und es an Respekt fehlen ließ – es war vor allem die Art und Weise, wie Javier sie anschaute, die Dolores
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