Ein Traummann auf Mallorca
Sorge bereitete.
Seit Catalinas Tod vor anderthalb Jahren hatte es keine Frau mehr in seinem Leben gegeben. Doch auch davor war Javier im Grunde genommen vorrangig mit seiner Firma verheiratet gewesen. Seine Tochter hatte er oft wochenlang nicht gesehen, da er bis spät in die Nacht hinein arbeitete und früh am Morgen bereits wieder in der Werft war. Über die Jahre war Catalina immer blasser und unglücklicher geworden. Sie hatte Dolores an eine Pflanze erinnert, der das Sonnenlicht fehlte. Die Nachricht von der schweren Erkrankung der Frau ihres Chefs war nicht sonderlich überraschend für sie gekommen. Ein Mensch, der immerzu traurig war, konnte nur krank werden.
Schon damals hatte Dolores beschlossen, dass sie Catalinas Nachfolgerin sein würde. Ihre Gründe dafür lagen klar auf der Hand: Javier war reich – und großzügig. Wenn sie erst mit ihm verheiratet war, lag ein Leben im Luxus vor ihr. Mehr wollte sie nicht. An so etwas wie der viel beschworenen großen Liebe hatte sie kein Interesse. Man sah ja an der armen Catalina, wohin das führte.
Der einzige Störfaktor, der ihren Plan bisher noch behinderte, hieß Aurora. Javiers Tochter machte keinen Hehl daraus, dass sie Dolores nicht mochte. Ein Gefühl, das durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte.
Dolores hatte nie Kinder haben wollen. Ganz davon abgesehen, dass man sich damit nur die Figur ruinierte, waren Kinder in ihren Augen vor allem eines: unerträgliche Nervensägen. Genau deshalb beabsichtigte sie auch, Aurora in einem Internat unterzubringen, sobald sich die Möglichkeit ergab. Dafür musste sie allerdings erst einmal Javier davon überzeugen, dass sie, Dolores, die Richtige für ihn war.
Nun, diesem Ziel hatte sie sich in den vergangenen Monaten durchaus zufriedenstellend genähert und sich praktisch unersetzlich für Javier gemacht. Dazu gehörte auch, dass sie sich immer dann, wenn er gerade in der Nähe war, mit rührender Hingabe um seine kleine Tochter kümmerte.
Aurora hatte natürlich schnell durchschaut, dass Dolores sich nicht wirklich ernsthaft um ihre Zuneigung bemühte. Seitdem verhielt sich die Kleine ihr gegenüber bockig und aufsässig. Doch das fiel nicht weiter auf, denn so wie ihr war es bisher jedem einzelnen Kindermädchen ergangen, das Javier eingestellt hatte.
Bis jetzt.
Diese Charlene Beckett schien nun plötzlich das Vertrauen der Sechsjährigen gewonnen zu haben. Womit, darüber konnte Dolores nur Mutmaßungen anstellen. Wahrscheinlich lag es daran, dass die Engländerin so gar nicht dem typischen Kindermädchenklischee entsprach. Sie wirkte weder besonders kompetent noch streng – alles Eigenschaften, die Dolores von einer Erzieherin erwartete. Dafür besaß sie andere Qualitäten, mit denen sie ganz offensichtlich nicht nur Aurora für sich einnahm, sondern zu Dolores’ Leidwesen auch Javier.
Wie sonst ließ sich erklären, dass er sich von Señorita Beckett dazu hatte überreden lassen, einen Ausflug mit seiner Tochter zu unternehmen? Noch dazu, wo die jüngsten Ereignisse in der Firma eigentlich seine volle Aufmerksamkeit beanspruchen sollten! Wenn das so weiterging … Dolores schüttelte den Kopf. Nicht auszudenken, wenn er sich plötzlich in einen Familienmenschen verwandelte!
Nein, das durfte sie nicht zulassen. Sie musste etwas unternehmen. Etwas, um Charlene Beckett loszuwerden, ehe sie sich hier richtig einnistete.
Und Dolores hatte auch schon eine Idee, wie sich das bewerkstelligen ließ …
5. KAPITEL
„Sieh mal dort, Papá !“ Aurora stellte sich auf die Zehenspitzen, um über die hohe Sicherheitsabgrenzung blicken zu können, und deutete in das weitläufige Lemurengehege. „Die Äffchen – sind die nicht süß?“
Ihr Vater stellte den Picknickkorb ab, den Jolanda ihnen gepackt hatte, und trat hinter seine Tochter. Dann legte er ihr die Hände um die Taille und hob das Kind mit einer lässigen Bewegung auf seine Schultern, als wöge es nicht mehr als ein Schmetterling. Aurora quietschte vor Vergnügen. Es war unübersehbar, wie sehr sie es genoss, Zeit mit ihrem viel beschäftigten Vater zu verbringen.
Charlene freute sich für ihren Schützling. In den vergangenen anderthalb Stunden hatte sie Aurora zum ersten Mal richtig ausgelassen und fröhlich erlebt. So lange hielten sie sich nun schon im Zoo von Santa Eugenia auf, und Charlene nahm sich vor, Javier am Abend um ein Gespräch unter vier Augen zu bitten. Sie musste ihm begreiflich machen, wie sehr seine Tochter ihn brauchte.
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