Ein Traummann auf Mallorca
waren.
Charlene seufzte. Auch wenn Mallorca nicht immer das Paradies für sie gewesen sein mochte, das es für die meisten Touristen darstellte – die unverwechselbare und wundervolle Landschaft hatte sie bereits als Kind geliebt. Nie würde sie vergessen, wie sie Muscheln am Strand gesammelt und daraus eine Kette gebastelt hatte. Sie war barfuß durch das seichte Wasser gelaufen, mal allein, mal mit ihrem Hund Buster, den sie sehr geliebt hatte. Doch leider war ihre Kindheit nicht immer so sorglos gewesen. Wie viel schöner hätte alles sein können, wenn ihre Mutter nicht …
Sie schüttelte den Kopf. Dies war nicht die richtige Gelegenheit, um über Vergangenes nachzudenken, und auch nicht, um die Natur zu genießen. Jetzt gab es anderes, um das es sich zu kümmern galt.
Nach dem Treffen mit Maria Velásquez war alles ganz schnell gegangen – viel zu schnell für Charlenes Begriffe. Ehe sie sich an den Gedanken hatte gewöhnen können, künftig für den größten Konkurrenten ihres Vaters zu arbeiten, war auch schon der Termin für das Vorstellungsgespräch vereinbart worden.
Die folgende Nacht hatte sie mehr oder weniger schlaflos verbracht. In ihrem Kopf waren die Gedanken durcheinandergewirbelt. Tat sie wirklich das Richtige? Durfte sie sich überhaupt auf ein solches Abenteuer einlassen?
Doch immer wieder waren ihr Maria Velásquez’ Worte in den Sinn gekommen. Stimmte es nicht, was die ältere Frau gesagt hatte? Bei genauerem Betrachten war Charlene klar geworden, dass die Situation mehr Vor- als Nachteile barg. Sicher, Javier Santiago mochte ein skrupelloser Geschäftsmann sein, aber wenn es ihr durch das Arrangement mit seiner Tante möglich war, ihrem Vater zu helfen, so stellte das im Grunde doch nur ausgleichende Gerechtigkeit dar. Graham Beckett würde sich wieder um die Werft kümmern und sie aller Wahrscheinlichkeit nach vor dem Ruin retten können.
Und ich kann endlich wieder dem Beruf nachgehen, den ich einmal so geliebt habe …
„So, Señorita , da wären wir.“ Der Taxifahrer lenkte seinen Wagen an den Straßenrand.
Charlene bezahlte und warf einen verstohlenen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Sie unterdrückte ein Seufzen. Viel zu früh – wie immer. Ihr blieben noch mehr als anderthalb Stunden bis zu ihrem Termin mit Javier Santiago. Und die Gegend, in der der Schiffbauer lebte – ein Villenviertel bei Port d’Andratx, etwa dreißig Autominuten von Palma de Mallorca entfernt –, gehörte zwar zu den gehobenen Adressen der Insel, aber gewiss nicht zu den sonderlich belebten. Charlene seufzte unhörbar. So war es immer bei ihr, wenn derartige Termine bevorstanden: Vor lauter Nervosität hielt sie es einfach nicht länger zu Hause aus und machte sich dann viel zu zeitig auf den Weg.
Sie stieg aus, schlug die Wagentür hinter sich zu und sah sich um. Die meisten Grundstücke waren riesig, und die Häuser standen entsprechend weit voneinander entfernt. Manche Zufahrt lag so versteckt zwischen dichten Sträuchern und Bäumen, dass man sie erst entdeckte, wenn man gezielt danach Ausschau hielt. Wer hier wohnte, war eindeutig vermögend und legte großen Wert auf die Wahrung seiner Privatsphäre. Sicher waren die Häuser luxuriös und verfügten über jeden nur erdenklichen Komfort. Trotzdem vermochte Charlene sich nicht vorzustellen, dass man hier draußen wirklich glücklich sein konnte. Sie für ihren Teil brauchte Menschen um sich, pulsierendes Leben. Wie sollte ein kleines Mädchen wie Aurora Santiago hier Freunde finden?
Das Taxi fuhr davon, und Charlene blieb allein zurück. Resigniert ließ sie die Schultern hängen. Und nun? Zum Spazierengehen war sie viel zu aufgeregt. Einfach herumstehen und warten ging ebenso wenig. Also begann sie unruhig vor der Zufahrt des Anwesens auf und ab zu laufen. Dabei entdeckte sie ein kleines Tor in der von Efeu überwachsenen Mauer, das ein Stück weit offen stand. Neugierig trat sie näher. Sie wollte nur einen kurzen Blick auf das Grundstück werfen, nichts weiter. Sehen, wie ein Mann wie Javier Santiago wohnte.
Doch als das leise Schluchzen eines Kindes an ihr Ohr drang, vergaß sie alles andere und trat in den Garten.
Charlenes Augen weiteten sich, und ihre Lippen formten einen stummen Laut der Begeisterung. Nein, das hier war kein Garten – es war ein regelrechter Park, riesengroß, mit in allen Farben blühenden Blumenrabatten, einem künstlich angelegten Teich, in dem Zierkarpfen ihre Runden drehten, und einem schattigen
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