Ein Tropfen Blut
Gleiche. Zunächst waren die Kerle wahnsinnig gut gelaunt, weil die Kripo im Besitz der Dokumente war und sie ihre Schulden damit vergessen konnten, dann zuckten sie bedauernd mit den Achseln und verwiesen auf ihr Alibi. Ausnahmslos alle waren zum Zeitpunkt des Mordes an Achmed an ihrem Arbeitsplatz gewesen.
Die Beamten hofften nun, wenigstens in dem anderen aktuellen Mordfall ein Stückchen weiterzukommen.
»Dauert vermutlich nicht lange«, tröstete der Stoppelhaarige seine Kollegin. »Wie ich diese Banker kenne, haben die doch alle das Genmaterial von Onkel Dagobert. Raffen, raffen, raffen und abends ein entspannendes Bad in ihren Kontoauszügen.«
Annika Schäfer verzog pflichtbewusst ihr Gesicht und äugte auf den langen, mit Teppichboden belegten Gang, der sich vor ihnen auftat. Der Personalchef der Bochumer Filiale der Commerzbank war erst heute aus dem Urlaub zurückgekommen.
»Benimm dich«, mahnte Schäfer ihren Kollegen, als sie das Vorzimmer enterte. Eine perfekt gestylte Sekretärin sah lächelnd von ihren Unterlagen hoch.
»Kripo, Schäfer, hatten wir vorhin telefoniert?«, machte Annika es so kurz wie möglich.
»Aber sicher«, flötete die Tippse und hüpfte aus ihrem Stuhl. »Herr Bergdahl hat gleich Zeit für Sie. Wenn Sie sich noch einen kleinen Moment gedulden möchten?«
Hofmann sah demonstrativ auf seine Armbanduhr. Sie waren pünktlich.
»Er telefoniert«, erklärte die Vorzimmerdame und deutete auf die Besucherstühle. Doch noch bevor sich die Beamten eine wohlverdiente Pause gönnen konnten, erlosch das kleine rote Licht auf der Telefonanlage.
»Sie haben Glück. Warten Sie, ich melde Sie an.«
Die Frau stolzierte zu der mit Leder bezogenen Tür, drängte sich in den Zwischenraum und hämmerte ihren Zeigefinger gegen das Holz der zweiten Tür. Dann hörten die Beamten undeutlich Stimmen, worauf ihnen endlich der Weg freigegeben wurde.
Der Personalchef stand hinter seinem Schreibtisch und knöpfte sein Jackett zu. Als Schäfer und Hofmann den Raum betraten, ging er ihnen entgegen und hielt seine Rechte ausgestreckt vor sich.
»Bergdahl, guten Tag. Frau Schäfer, vermute ich?«
»Genau. Mein Kollege, Herr Hofmann. Sehr freundlich von Ihnen, sich für uns Zeit zu nehmen.«
»Aber ich bitte Sie«, wehrte der grau melierte Fünfziger mit traurigem Gesicht ab. »Bei einem derartigen Anlass ist das doch wohl eine Selbstverständlichkeit. Setzen Sie sich doch.«
Hofmann nahm genau Maß und lies sich langsam auf den Lederpolstern nieder, jedes unanständige Geräusch vermeidend. Schäfer hockte sich in die andere Ecke der Couch, während ihr Gastgeber einen der Sessel okkupierte.
»Darf ich Ihnen eine kleine Erfrischung anbieten? Tee, Kaffee, Mineralwasser?«
»Vielen Dank, aber wir möchten Sie nicht über Gebühr bemühen«, säuselte Hofmann. »Sie haben schon von Frau Lacours Tod gehört?«
»Selbstverständlich«, nickte Bergdahl. »Eine Tragödie.«
Hofmann sah kurz zur Decke. Der Standardsatz wäre gewesen: ›Welch ein Verlust für uns.‹
»In welcher Funktion hat Frau Lacour für Ihr Haus gearbeitet?«, mischte sich Schäfer ein.
»Die Verstorbene war stellvertretende Leiterin der Investmentabteilung. Sie hatte eine viel versprechende Karriere vor sich.«
»Hatten Sie viel mit ihr zu tun? Ich meine, geschäftlich?«
»Natürlich. Wir sahen uns regelmäßig auf den Abteilungsleitertreffen. Und darüber hinaus war sie in einem der Trainee-Programme, die unter meiner Leitung stehen. Eine außerordentlich ehrgeizige Frau.«
»Trainee-Programm?«, wiederholte Hofmann.
»So etwas wie eine innerbetriebliche Fortbildung«, flüsterte Schäfer ihm zu, bevor Bergdahl ausschweifend werden konnte. »Privat hatten Sie keinen Kontakt zu ihr?«
»Doch«, antwortete Bergdahl zur Überraschung der Beamten. »Allerdings nicht sehr intensiv.«
»Könnten Sie das vielleicht ein wenig verdeutlichen?«
»Nun, Sabine war die Tochter eines sehr guten Freundes von mir und ging auf dasselbe Gymnasium wie meine Tochter. Schon als sie Schülerin war, fiel ihre herausragende Intelligenz und schnelle Auffassungsgabe auf. Ich hatte sie seinerzeit überredet, hier in der Bank anzufangen. Ursprünglich wollte sie ja studieren, aber letztlich hat sie es wohl nie bereut, keine akademische Ausbildung durchlaufen zu haben.«
»Sie haben Sie protegiert?«, fragte Schäfer direkt.
»Nein, das nun nicht gerade. Vor ihrer Einstellung habe ich ein gutes Wort für sie eingelegt, aber das wäre gar nicht
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