Ein Tropfen Zeit
meine Tasche. Wir besichtigten das übrige Haus, und Dench kam auf den großartigen Einfall, wir sollten das Haus, falls wir es als Kapitalanlage benutzen wollten, in mehrere Wohnungen für Sommergäste aufteilen und die Schlafzimmerseite mit dem Blick auf das Meer uns vorbehalten. Diese Idee erläuterte er Vita, während wir durch den Garten wanderten. Ich sah, daß Willis nach seiner Uhr blickte.
»Sie müssen allmählich genug von uns haben«, bemerkte er. »Ich habe Dench auf dem Weg hierher gesagt, wir würden beim Bezirksrevier in Liskeard vorsprechen und die Fragen beantworten, die die Polizei uns stellen möchte. Wenn Sie ein Taxi riefen, könnten wir gleich rüberfahren.«
»Ich fahre Sie selbst hin«, sagte ich zu ihm, »aber warten Sie noch, ich möchte Ihnen etwas zeigen.« Ich ging hinauf und kam wenige Minuten später mit dem Spazierstock zurück. »Dies hier lag neben Magnus' Leiche. Er gehört zu den anderen in seiner Londoner Wohnung. Meinen Sie, man wird ihn mir lassen?«
»Gewiß«, sagte er, »und auch die anderen Stöcke. Ich freue mich, daß Sie das Haus bekommen haben, und hoffe, nebenbei gesagt, daß Sie es nicht verkaufen.«
»Ich habe nicht die Absicht.«
Vita und Dench waren ein Stück weiter hinter uns.
»Ich schlage vor, daß wir bei der Untersuchung am besten so ziemlich dasselbe sagen«, bemerkte Willis ruhig. »Magnus war ein begeisterter Spaziergänger, und wenn er sich nach den Stunden im Zug Bewegung verschaffen wollte, so war das typisch für ihn.«
Ich war einverstanden.
»Übrigens, ein guter Bekannter von mir, ein Student, hat für Magnus im Britischen Museum und im Staatsarchiv über historische Fragen nachgeschlagen. Soll er weitermachen?«
Ich zögerte. »Es könnte nützlich sein. Ja … Wenn er etwas herausfindet, sagen Sie ihm, er möchte es mir schicken.«
Jetzt bemerkte ich zum erstenmal einen Ausdruck der Verlorenheit, der Leere hinter der Hornbrille.
»Und was haben Sie selbst vor?« fragte ich.
»Ich nehme an, ich werde genauso weiterarbeiten«, antwortete er. »Ich möchte versuchen, Magnus' Tätigkeit fortzuführen. Aber das wird nicht leicht sein. Als Chef und Kollege ist er unersetzbar. Sie verstehen das sicher.«
»Ja, gewiß.«
Die anderen kamen heran, und zwischen Willis und mir fiel kein weiteres Wort. Nach einer Tasse Tee, die niemand gewünscht hatte, zu der Vita uns aber überredete, fand Willis, es sei Zeit, nach Liskeard zu fahren. Ich wußte jetzt, warum Magnus ihn zum Vorgesetzten seiner Mitarbeitergruppe bestimmt hatte. Ganz abgesehen von seiner beruflichen Kompetenz verbarg sich hinter der mausgrauen Erscheinung Treue und Verschwiegenheit.
Als wir im Auto saßen, fragte Dench, ob wir wohl einen Teil der Strecke fahren könnten, die Magnus am Freitagabend zurückgelegt hatte. Ich fuhr sie auf dem Stonybridge-Weg am Treverran-Hof vorbei vor das Tor oben auf dem Hügel und deutete auf den Tunnel.
»Unglaublich«, murmelte Dench, »ganz unglaublich. Und obendrein war es dunkel. Das gefällt mir nicht.«
»Wie meinen Sie das?« fragte ich.
»Nun, wenn ich es nicht begreife, werden der Untersuchungsrichter und die Geschworenen es auch nicht begreifen. Sie müssen etwas dahinter vermuten.«
»Aber was?«
»Vielleicht irgendeinen Zwang, diesen Tunnel zu erreichen. Wir wissen, was weiter geschah, nachdem er dort angelangt war.«
»Ich bin anderer Meinung«, erklärte Willis. »Wie Sie sagen, war es damals dunkel oder fast dunkel. Da konnte man von hier aus weder den Tunnel noch den Bahndamm sehen. Ich glaube vielmehr, er hatte die Absicht, ins Tal hinunterzugehen, vielleicht, um sich das Bauernhaus von der anderen Seite anzusehen, und als er unten am Feld angelangt war, versperrte die Eisenbahnüberführung ihm die Aussicht. Er kletterte die Böschung hinauf, um die Gegend zu überblicken, und wurde vom Zug getroffen.«
»Möglich, aber es ist doch seltsam, wie er so etwas tun konnte.«
»Seltsam für den gewöhnlichen Menschen«, sagte Willis, »aber nicht für Professor Lane. Er war im wahrsten Sinne des Wortes ein Entdecker.«
Nachdem ich sie wohlbehalten vor dem Polizeirevier abgesetzt hatte, kehrte ich nach Hause zurück. Nach Hause … Das Wort hatte jetzt eine neue Bedeutung. Es war jetzt mein Heim. Das Haus gehörte mir, wie es vorher Magnus gehört hatte. Die Anspannung, die den ganzen Tag lang auf mir gelastet hatte, begann zu weichen und zugleich meine niedergeschlagene Stimmung. Magnus war tot; ich würde ihn nie
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