Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
Vom Netzwerk:
wiedersehen, nie wieder seine Stimme hören, mich an seiner Gesellschaft freuen oder seine Gegenwart als beruhigenden Fixpunkt in meinem Leben betrachten können, aber das Band zwischen uns würde trotzdem nie zerreißen, denn das Heim, das einst ihm gehört hatte, war jetzt meines. Darum konnte ich ihn nicht verlieren. Ich blieb nicht allein.
    Ich fuhr an Boconnoc, dem ehemaligen Bockenod vorbei und dachte an den armen Sir John Carminowe, der bereits mit den gefürchteten Pocken infiziert in jener stürmischen Oktobernacht des Jahres 1331 neben Joanna Champernounes roh gezimmertem Wagen hergeritten war und einen Monat später sterben sollte, nachdem er seine Stellung als Aufseher der Schlösser Restormel und Tremerton kaum sieben Monate hatte genießen können. Hinter Lostwithiel nahm ich den Weg nach Treesmill, um mir die Gehöfte auf der anderen Seite des Tales hinter dem Bahndamm genauer anzusehen. Strickstenton lag auf der linken Seite des engen Weges. Sicher ein sehr altes Gemäuer, das man in einer Broschüre für Touristen als ›pittoresk‹ bezeichnen würde. Das dazugehörige Weideland senkte sich bis an einen Wald.
    Sobald ich vom Haus aus nicht mehr gesehen werden konnte, sieg ich aus dem Wagen und blickte zur anderen Seite des Tales hinüber. Der Tunnel war deutlich zu sehen, und während ich dort stand, kam ein Zug wie eine böse Schlange mit gelbem Kopf heran und schlängelte sich unterhalb von Treverran ins Tal. Der Güterzug, der Magnus erfaßt hatte, war aus der entgegengesetzten Richtung gekommen, den Hang hinaufgeklettert und im Tunnel verschwunden, ein Reptil, das in die Unterwelt tauchte, während Magnus, der es weder gehört noch gesehen hatte, sich sterbend zu der Hütte schleppte. Ich fuhr den gewundenen Pfad hinab und bemerkte die Abzweigung, die vermutlich am Colwith-Hof vorbei ins Tal und zum Überrest des ehemaligen Flusses hinabführte. Irgendwann einmal, bevor die Eisenbahnlinie sich in das Gelände hineingrub, hatte es hier gewiß einen Weg gegeben, der von Groß-Treverran durch das Tal nach Klein-Treverran führte. Jeder der beiden Höfe konnte das Tregest der Carminowes sein.
    Ich fuhr zur Telefonzelle von Tywardreath und wählte die Nummer von Kilmarth. Vita meldete sich.
    »Liebling, ich finde es ziemlich unhöflich, Dench und Willis allein in Liskeard zu lassen, darum werde ich hier ein bißchen Spazierengehen, bis sie im Polizeirevier fertig sind, und dann mit ihnen zu Abend essen.«
    »Na ja, wenn es sein muß. Aber komm nicht so spät. Du brauchst nicht auf den Zug zu warten.«
    »Wahrscheinlich nicht. Es hängt davon ab, wieviel wir noch zu besprechen haben.«
    »Na schön, ich erwarte dich.«
    Ich legte auf und kehrte zum Wagen zurück. Dann fuhr ich wieder nach Treesmill und nahm die Abzweigung nach Colwith. Der Pfad führte, genau wie ich vermutet hatte, am Hof vorbei, wurde dann abschüssiger und verlief sich schließlich an einem kleinen Bach am Fuß des Hanges. Links, hinter einem Viehgatter, befand sich der Eingang nach Klein-Treverran. Die Häuser waren nicht zu sehen, aber auf einem Schild stand: »W. P. Kelly, Holzarbeiter.«
    Ich parkte den Wagen außer Sichtweite auf dem Feld, dicht neben einer Baumreihe und nur wenige hundert Meter vom Bahndamm entfernt.
    Ein Blick auf die Uhr: Es war kurz nach fünf. Ich öffnete den Kofferraum und holte den Spazierstock heraus, in den ich, bevor ich ihn Willis zeigte, im Ankleidezimmer die letzten Tropfen aus Flasche A gefüllt hatte.

19
    Es schneite. Sanfte Flocken fielen vom Himmel, und die Welt um mich her war plötzlich weiß: kein saftiges grünes Sommergras mehr, keine Bäume, nur ein unablässig rieselnder Schnee, der die Hügel einhüllte. Ich sah keine Bauernhäuser in der Nähe, nur dort, wo ich stand, den schwarzen, etwa sieben Meter breiten Fluß und den Schnee, der zu beiden Seiten am Ufer hinaufgeweht worden war und ins Wasser glitt, wenn die Masse sich unter dem eigenen Gewicht senkte und die braune Erde darunter freigab. Es war bitterkalt, aber windstill. Die Ruhe schien um so tödlicher, als auch der Fluß hinter mir völlig geräuschlos dahinfloß, und die gestutzten Weiden und Erlen sahen aus wie stumme Gestalten mit ausgestreckten Armen, grotesk und formlos unter der Schneelast, die sie auf ihren Gliedern trugen. Die Flocken wirbelten von einem leichentuchartigen Himmel, der am Horizont mit dem weißen Land darunter verschmolz.
    Mein Geist, gewöhnlich ganz klar, wenn ich die Droge genommen hatte, war

Weitere Kostenlose Bücher