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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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entdeckt zu wissen, auf den Rand des Sees zu, aber dann sah ich zu meiner Erleichterung Roger neben mir, der nun gleichsam mein Wortführer und mein Beschützer wurde. Wie lange er dort gestanden hatte, wußte ich nicht. Er mußte am Ufer hinter mir hergegangen sein.
    »Seid gegrüßt, Sir Oliver!« rief er. »Die Strömung geht schulterhoch über Treesmill und auch auf Eurer Seite des Tales, wie mir Rob Rosgofs Witwe bei der Fähre sagte. Ich möchte wissen, wie es Euch und Lady Isolda geht.«
    »Uns geht es recht gut«, antwortete Oliver, »wir haben genügend Vorräte für den Fall, daß der strenge Winter noch länger anhalten sollte, was Gott verhüte. Vielleicht ändert sich der Wind in ein oder zwei Tagen und bringt Regen. Wenn der Weg dann nicht überschwemmt ist, gehen wir zurück nach Carminowe. Meine Dame sitzt den halben Tag lang grollend in ihrem Zimmer und leistet mir kaum Gesellschaft.« Er sprach mit verächtlichem Ton und beobachtete dabei Roger, der näher ans Ufer trat. »Ob sie mit mir nach Carminowe geht, ist ihre Sache«, fuhr er fort. »Meine Töchter wenigstens gehorchen meinem Willen. Joanna ist John Petyt von Ardeva versprochen; sie ist zwar noch ein Kind, putzt und ziert sich aber vor dem Spiegel, als sei sie schon eine vierzehnjährige Braut und reif für ihren stämmigen Ehemann. Das magst du ihrer Patentante, Lady Champernoune, mit meinen Empfehlungen ausrichten. Sie wünscht sich gewiß ein ähnliches Glück, bevor allzu viele Jahre verstreichen.« Er lachte schallend. Dann fügte er hinzu, indem er auf die Jagdhunde deutete, die unter den Bäumen die Reste ihrer Beute vertilgten: »Wenn du dich nicht fürchtest, dort auf der morschen Planke über den Fluß zu gehen, so gebe ich dir eine Otterpfote, die du Lady Champernoune mit besten Grüßen übergeben kannst. Vielleicht erinnert sie sie daran, daß ihr Bruder Otto einst ebenso naß und leblos war, und sie kann sie als Andenken in Trelawn an die Wand nageln. Die andere Pfote werde ich meiner eigenen Dame zum gleichen Zweck überreichen, falls die Hunde sie noch nicht gefressen haben.«
    Er drehte sich um, schritt auf die Baumgruppe zu und pfiff seinen Hunden, während Roger am Flußufer bis zu dem schlüpfrigen Steg aus langen, zusammengebundenen Stämmen ging, der stellenweise ins Wasser gerutscht war. Oliver Carminowe und seine Leute sahen zu, wie er die morsche Brücke betrat; als sie unter seinem Gewicht einbrach, so daß er ausglitt, stürzte und bis über die Hüften durchnäßt wurde, brüllten sie einstimmig vor Lachen und erwarteten, daß er umkehren und sich ans Ufer flüchten würde. Aber er schritt weiter und erreichte das andere Ufer, während ich trockenen Fußes hinter ihm herging. Er trat geradewegs auf Carminowe zu, der mit der Peitsche in der Hand dastand: »Ich will die Otterpfote gern überreichen, wenn Ihr sie mir gebt.«
    Ich dachte, er werde einen Peitschenhieb über das Gesicht erhalten, und sicher war er selbst auch drauf gefaßt, aber Carminowe lächelte nur, schwang die Peitsche plötzlich gegen die Hunde, vertrieb sie von dem zerfetzten Otter, zog ein Messer aus seinem Gürtel und schnitt die zwei übriggebliebenen Pfoten ab.
    »Du hast mehr Mumm in den Knochen als mein Verwalter in Carminowe«, bemerkte er. »Dafür achte ich dich immerhin. Hier, nimm die Pfote und hänge sie in deiner Küche in Kylmerth zwischen den silbernen Töpfen und Schalen auf, die du sicher aus der Priorei gestohlen hast. Aber zuerst komm mit uns und mache Lady Carminowe deine Aufwartung. Vielleicht hat sie doch von Zeit zu Zeit lieber einen Mann um sich als das zahme Eichhörnchen, mit dem sie sich tagelang beschäftigt.«
    Roger steckte die Pfote schweigend in die Tasche, und wir bahnten uns mühsam den Weg bergan durch den Schnee. Ich hatte jedes Gefühl für die Richtung verloren und wußte nur, daß der Fluß hinter uns war und daß es weiter schneite.
    Der Weg führte zwischen hohen Schneewällen zu einem Haus, das sich eng an den Hügel schmiegte. Carminowe stieß, während die Knechte langsam hinter uns herkamen, die Tür auf, und wir traten in einen Gang, wo wir von den Haushunden, die sich schwanzwedelnd um ihren Herrn drängten, und von den beiden Kindern Joanna und Margaret begrüßt wurden, die ich zuletzt an einem Sommernachmittag auf Ponys über die Furt bei Treesmill hatte reiten sehen. Ein drittes Mädchen, etwas älter als die beiden, etwa sechzehn Jahre alt – ich hielt sie für eine von Carminowes Töchtern

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