Ein Tropfen Zeit
nachdem ich zunächst bei der Polizei angefragt hatte, ob ich den Termin schon festsetzen könne. Anschließend rief ich den Anwalt an, um ihn über die von mir unternommenen Schritte zu berichten. All dies schien mit Magnus gar nichts mehr zu tun zu haben. Die Verrichtungen des Bestattungsinstituts, jene mit dem Tod verbundene Betriebsamkeit, bis die Leiche den Flammen übergeben wurde, betraf nicht jenen Mann, der mein Freund gewesen war. Mir kam es so vor, als sei er ein Teil der anderen Welt geworden, der Welt von Roger und Isolda.
Als ich die Anrufe beendet hatte, kam Vita in die Bibliothek. Ich saß auf Magnus' Schreibtisch am Fenster und blickte hinaus auf das Meer.
»Liebling, ich habe mir etwas überlegt«, sagte sie, trat dicht hinter mich und legte mir die Hände auf die Schultern. »Meinst du nicht auch, daß es ratsam ist, nach dem Ermittlungsverfahren abzureisen? Es wäre doch etwas peinlich, wenn wir weiter hier wohnten, und traurig für dich, und außerdem hat die Sache doch eigentlich ihren Sinn verloren.«
»Welchen Sinn?«
»Nun, daß uns das Haus unentgeltlich zur Verfügung stand. Ich empfinde uns als Eindringlinge, die eigentlich kein Recht mehr haben, hier zu sein. Es wäre viel vernünftiger, wenn wir die übrigen Ferien woanders verbrächten. Es ist ja erst Anfang August. Bill sagte mir am Telefon, wie schön es in Irland ist; sie haben ein reizendes Hotel in Connemara gefunden, ein altes Schloß oder so etwas, mit privaten Fischereigründen.«
»Das kann ich mir vorstellen. Zwanzig Guineas für die Nacht und von deinen Landsleuten übervölkert.«
»Sei nicht so ungerecht! Er wollte uns nur helfen. Er hielt es für selbstverständlich, daß du von hier fort wolltest.«
»Ich will aber nicht«, sagte ich, »es sei denn, der Anwalt wirft uns raus. Das wäre etwas anderes.«
Ich sagte ihr, daß die Einäscherung für den Donnerstag vorgesehen sei und daß Dench herüberkommen würde und vielleicht auch einige von Magnus' Mitarbeitern. Die Aussicht auf Gäste zum Mittag- oder Abendessen und vielleicht sogar für die Nacht lenkte sie von dem Irland-Plan ab. Aber es stellte sich heraus, daß uns das Schlimmste erspart blieb, denn nur Dench und Magnus' dienstältester Assistent, John Willis, kamen am Mittwoch mit einem Nachtzug zur Einäscherung; sie nahmen unsere Einladung zum Mittagessen an und wollten dann mit dem Nachtzug nach London zurückkehren. Die Jungen wurden für den Donnerstag unter Aufsicht des stets gefälligen Tom zum Fischen hinausgeschickt.
Ich erinnere mich kaum noch an die Einäscherungszeremonie. Ich weiß nur, daß ich dachte, Magnus hätte sicher eine einfachere Methode erfunden. Er hätte die Toten mit Hilfe von Chemikalien anstatt durch Feuer aus der Welt geschafft. Die beiden anderen Trauergäste, Herbert Dench und John Willis, sahen ganz anders aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Der Anwalt war dick und leutselig, aß reichlich zu Mittag und ergötzte uns, während wir das Totenmahl verzehrten, mit Geschichten über Hindufrauen, die auf dem Scheiterhaufen, auf dem der Leichnam ihres Mannes verbrannt wurde, freiwillig den Feuertod suchten. Er war in Indien geboren und schwor, als Kind selbst eine solche Opferung gesehen zu haben.
John Willis war ein kleiner, mausgrauer Mann mit aufmerksamen Augen hinter einer Hornbrille; er hätte gut hinter einen Bankschalter gepaßt. Ich konnte ihn mir nicht neben Magnus vorstellen, wie er lebendigen Affen aufwartete oder ihre Hirnzellen sezierte. Er äußerte kaum ein Wort. Aber das machte nichts, denn der Anwalt sprach genug für alle.
Nach dem Mittagessen gingen wir durch die Bibliothek, und Dench bückte sich nach seiner Aktentasche, um uns in aller Förmlichkeit das Testament vorzulesen, in dem John Willis offenbar ebenso wie ich bedacht worden war. Vita wollte sich taktvoll zurückziehen, aber der Anwalt bat sie zu bleiben.
»Das ist nicht nötig, Mrs. Young«, sagte er fröhlich, »es ist ganz kurz und sachlich.«
Er hatte recht – bis auf die Sprache des Gesetzes. Magnus hatte das gesamte flüssige Vermögen, das er zur Zeit seines Todes besaß, seinem College zur Förderung der Biophysik vermacht. Seine Wohnung und seine persönliche Habe sollten verkauft werden und das Geld ebenfalls dem College zukommen, ausgenommen seine Bibliothek, die er John Willis aus Dankbarkeit für zehn Jahre beruflicher Mitarbeit und persönlicher Freundschaft hinterließ. Kilmarth mit allem, was darin war, vermachte er mir zu
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