Ein Tropfen Zeit
kam mir vor wie ein Gezeichneter; der Vorsitzende, im Privatleben zweifellos ein sanftmütiger Mann, erschien mir wie der Richter eines Strafgerichts, und die Geschworenen, als seien sie allesamt darin geübt, Angeklagte für schuldig zu befinden.
Die Verhandlungen begannen mit den Aussagen der Polizei über den Fund der Leiche. Die Darstellung war schlicht genug, aber während ich zuhörte, dachte ich, wie seltsam diese Geschichte einen Nichteingeweihten wohl anmutete; man mußte geradezu Verdacht schöpfen, daß dieser Mensch den Verstand verloren hatte und sich selbst zerstören wollte. Danach wurde Dr. Powell aufgerufen. Er verlas seinen Befund mit klarer und völlig sachlicher Stimme.
»Es war die wohlerhaltene Leiche eines etwa fünfundvierzigjährigen Mannes. Als ich sie am Samstag, dem dritten August, um ein Uhr mittags zum erstenmal untersuchte, war der Tod vierzehn Stunden vorher eingetreten. Die am nächsten Tag durchgeführte Autopsie ergab oberflächliche Prellungen und Schürfungen an den Knien und an der Brust, tiefere und gefährlichere Quetschungen an Oberarm und Schulter sowie starke Verletzungen der Kopfhaut an der rechten Seite des Schädels. Darunter wurde ein Bruch der rechten Scheitelbeinpartie, verbunden mit Hirnverletzungen und Blutungen aus der rechten mittleren Hirnhautarterie, festgestellt. Der Magen enthielt ungefähr 500 Gramm Nahrung und Flüssigkeit, eine anschließende Analyse erbrachte nichts Abnormes und keinen alkoholischen Inhalt. Auch die Blutproben waren einwandfrei und Herz, Lungen, Leber und Nieren normal und gesund. Meiner Meinung nach trat der Tod auf Grund einer Hirnblutung infolge eines starken Schlages auf den Kopf ein.«
Ich entspannte mich in meinem Stuhl, die Last fiel für einen Augenblick von mir ab, und ich fragte mich, ob es John Willis ebenso ging oder ob er keinen Grund zur Besorgnis gehabt hatte.
Danach fragte der Vorsitzende Dr. Powell, ob die Hirnverletzungen auf eine heftige Berührung mit einem vorbeifahrenden Fahrzeug wie etwa dem Waggon eines Güterzuges in Zusammenhang gebracht werden konnten.
»Ja, gewiß«, lautete die Antwort. »Ein ziemlich wichtiger Punkt ist, daß der Tod nicht sofort eintrat. Professor Lane hatte die Kraft, sich noch ein paar Meter weit bis zur Hütte zu schleppen. Der Schlag auf den Kopf genügte, um eine schwere Gehirnerschütterung zu verursachen, aber der Tod durch Gehirnblutung trat erst fünf oder zehn Minuten später ein.«
»Danke, Doktor Powell«, sagte der Untersuchungsrichter, und dann hörte ich, wie er meinen Namen aufrief. Ich erhob mich, wobei ich mich fragte, ob ich mit der rechten Hand in der Tasche nicht allzu nachlässig wirkte oder ob es niemand bemerkte.
»Mister Young«, sagte der Untersuchungsrichter, »ich habe Ihre Aussage hier vorliegen und möchte sie den Geschworenen vorlesen. Wenn Sie irgend etwas berichtigen wollen, dann unterbrechen Sie mich bitte.«
Bei den Erklärungen, die er nun vorlas, blieb ich völlig teilnahmslos und kalt, als hätte ich mir um das versäumte Abendessen damals mehr Gedanken gemacht als um die Sicherheit meines Gastes. Die Geschworenen mußten den Eindruck erhalten, ich sei ein Taugenichts, der sich die Morgenstunden mit einem Kissen hinter dem Ohr und einer Flasche Whisky vertrieb.
»Mister Young«, sagte der Untersuchungsrichter, nachdem er die Lesung beendet hatte, »es ist Ihnen nicht eingefallen, noch am Freitag abend Kontakt mit der Polizei aufzunehmen. Warum?«
»Ich hielt es für unnötig«, antwortete ich. »Ich glaubte immer noch ganz fest, daß Professor Lane auftauchen würde.«
»Waren Sie denn nicht überrascht, daß er in Par ausgestiegen war und zu Fuß ging, anstatt sich, wie vereinbart, in St. Austell mit Ihnen zu treffen?«
»Doch, ich war durchaus überrascht, aber das entsprach ganz seinem Charakter. Wenn er ein bestimmtes Ziel vor sich sah, so verfolgte er es auch bis zum Ende. Zeit und Pünktlichkeit waren ihm dann gleichgültig.«
»Und was für ein Ziel verfolgte Professor Lane Ihrer Ansicht nach an jenem Abend?«
»Er interessierte sich für die historische Entwicklung der Umgebung und für ehemalige Gutshäuser. Wir hatten vor, uns am Wochenende ein paar davon anzusehen. Als er nicht kam, vermutete ich, daß er beschlossen hatte, einen Spaziergang in ein bestimmtes Gebiet zu machen, von dem er mir erzählt hatte.«
Ich meinte, ich würde jetzt unter den Geschworenen eine Regung der Neugierde wahrnehmen, aber sie blieben
Weitere Kostenlose Bücher