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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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nicht einmal erwähnt. In der Absicht, es später einmal ganz durchzulesen, wollte ich das Buch gerade an seinen Platz zurückstellen, als ein paar Zeilen unten auf der Seite mich stutzig machten: »Der Gutshof Steckstenton oder Strickstenton, ursprünglich Tregesteynton, gehörte den Carminowes von Boconnoc, ging von ihnen auf die Courtenays über und später schließlich auf Angehörige der Familie Pitt. Das Gut Strickstenton ist Eigentum von N. Kendall, Esquire.« Tregesteynton … die Carminowes von Boconnoc. Endlich hatte ich es gefunden, aber zu spät. Hätte ich oder hätten vielmehr wir beide es früher gewußt, so hätte Magnus weiter unten bei Treesmill durch das Tal gehen können und wäre nicht gestorben. Das ehemalige Gutshaus hatte gewiß unterhalb des gegenwärtigen Bauernhauses gestanden. Mit anderen Worten: Als ich am vergangenen Donnerstag ›in der Vergangenheit‹ dort herumging, mußten die jetzigen Besitzer mich gesehen haben.
    Strickstenton … Eins war sicher: Ich konnte den Namen vor Gericht erwähnen, wenn der Untersuchungsrichter mich fragte.
    Das Ermittlungsverfahren wurde für den Freitagmorgen angesetzt – früher als erwartet. Dench und Willis würden wie zuvor mit dem Nachtzug kommen und nach den Verhandlungen zurückfahren. Während ich mich Freitag früh rasierte und mich glücklich pries, daß mir die Nebenwirkungen der Droge, Schweißausbrüche und blutunterlaufene Augen, diesmal erspart geblieben waren und die letzten Tage trotz der Entfremdung von Vita vergleichsweise friedlich verlaufen waren, fiel plötzlich der Rasierapparat ins Waschbecken. Ich wollte ihn aufheben, aber meine Finger versagten; sie waren taub, wie von einem geheimnisvollen Krampf befallen. Ich hatte kein Gefühl darin, empfand keinen Schmerz – sie gehorchten mir einfach nicht. Ich sagte mir, das seien die Nerven angesichts der bevorstehenden Aussage vor Gericht, aber später beim Frühstück, als ich, ohne noch an den Vorfall zu denken, meine Tasse heben wollte, glitt sie mir aus der Hand. Ich verschüttete den Kaffee, und die Tasse zerbrach auf dem Tablett.
    Wir frühstückten im Eßzimmer, damit ich rechtzeitig zum Gericht kam, und Vita saß mir gegenüber.
    »Entschuldige«, sagte ich, »wie konnte ich nur so ungeschickt sein.«
    Sie starrte auf meine bebende Hand; das Zittern schien vom Handgelenk in den Ellbogen hinaufzusteigen, und ich konnte es nicht bezwingen. Darum steckte ich die Hand in die Tasche und hielt sie dicht an meinen Körper, bis der Krampf aufhörte.
    »Was ist los?« fragte Vita. »Deine Hand zittert ja.«
    »Es ist ein Krampf«, sagte ich. »Ich habe wohl in der Nacht darauf gelegen.«
    »Hauch sie an oder streck die Finger aus, damit das Blut wieder zirkuliert«, riet sie.
    Sie trocknete das Tablett und reichte mir eine neue Tasse Kaffee. Ich hielt sie mit der linken Hand, aber der Appetit war mir vergangen. Wie sollte ich mit einer zitternden und unbrauchbaren Hand den Wagen fahren? Vita hatte ich gesagt, ich wolle lieber allein am Verfahren teilnehmen, denn sie hatte ja keinen Grund, mitzukommen, aber als die Zeit der Abfahrt kam, konnte ich meine Hand immer noch nicht gebrauchen.
    »Du mußt mich doch nach St. Austeil fahren«, sagte ich. »Ich habe immer noch diesen infernalischen Krampf in der rechten Hand.«
    Die Wärme und das Mitgefühl, das sie mir noch vor einer Woche entgegengebracht hätte, kamen nicht mehr auf. »Natürlich fahre ich dich hin«, antwortete sie, »aber es ist etwas merkwürdig, daß du plötzlich so einen Krampf bekommst, oder? Das hast du doch früher nie gehabt. Am besten läßt du die Hand in der Tasche, sonst meint der Untersuchungsrichter, du hättest getrunken.«
    Diese Bemerkung war keineswegs geeignet, mich zu beruhigen, und das Gefühl, so zusammengesunken als Fahrgast neben Vita zu sitzen, anstatt selbst zu steuern, beeinträchtigte meine Selbstsicherheit. Ich fühlte mich schwach, frustriert und konnte mich nicht mehr an die Angaben erinnern, die ich so sorgfältig für den Untersuchungsrichter einstudiert hatte.
    Als wir vor dem Weißen Hirsch ankamen und Dench und Willis begrüßten, entschuldigte sich Vita unnötigerweise für ihre Anwesenheit, indem sie sagte: »Dick ist nicht ganz in Form. Also mußte ich Chauffeur spielen!« Damit wurde die ganze dumme Geschichte noch einmal aufgerührt. Es blieb wenig Zeit für eine Unterhaltung, als ich mit den anderen in das Gebäude ging, in dem das Ermittlungsverfahren stattfinden sollte. Ich

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