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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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Doppeltragödie gegeben hätte, wenn Magnus und ich am Freitagabend gemeinsam losgegangen wären. Oder hätten wir beide überlebt? Das ließ sich nicht mehr feststellen; die Gelegenheit, zusammen jene andere Welt zu erleben, war uns nun für immer versagt. Aber ich wußte, was niemand anders je erfahren würde: warum er gestorben war. Er hatte die Hand ausgestreckt, um Isolda im Schnee weiterzuhelfen. Wenn sein Selbsterhaltungstrieb ihn gewarnt hatte, so hatte er diese Warnung im Gegensatz zu mir nicht beachtet und größeren Mut bewiesen als ich.
    Als ich den Motor anlaufen ließ, war es halb acht, und während ich über den überschwemmten Weg fuhr, wußte ich immer noch nicht, wie weit ich im Laufe meines Ausflugs in die andere Welt gegangen und welcher Hof oder welches Gelände nun Tregest gewesen war. Nun kam es auch nicht mehr darauf an. Isolda war an jenem Winterabend im Jahre 1332 oder 1333 in Richtung nach Kylmerth entflohen; ob sie es erreichte, würde ich vielleicht noch feststellen können. Nicht heute, nicht morgen, aber eines Tages … Jetzt galt es, meine Kraft und meine Geistesgegenwart für das Ermittlungsverfahren zu erhalten, und vor allem, mich vor Nachwirkungen der Droge zu hüten. Es wäre nicht gut, wenn ich mit blutunterlaufenen Augen und unerklärlichen Schweißausbrüchen vor Gericht erschien, besonders wenn Dr. Powells durchdringender und mißtrauischer Blick auf mir ruhte.
    Als ich gegen halb neun zu Hause ankam, nachdem ich oben auf dem Hügel geparkt hatte, um noch etwas Zeit verstreichen zu lassen, hatte ich keinen Appetit und rief Vita zu, wir hätten bereits im Hotel von Liskeard gegessen, ich sei todmüde und wolle zu Bett gehen. Sie und die Jungen aßen in der Küche, und ich ging gleich hinauf, ohne sie zu stören, und versteckte den Spazierstock im Schrank des Ankleidezimmers.
    Ich lag im Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und malte mir aus, wie Robbie und seine Schwester Bess den unerwarteten Besuch empfingen. Zuerst einmal warme Kleidung für Isolda und ein Essen vor dem rauchenden Herd; den beiden Halbwüchsigen verschlug Isoldas Gegenwart gewiß die Sprache; Roger spielte den Gastgeber. Dann tastete Isolda sich die Leiter hinauf zur Strohmatratze, und von dort hörte sie das unruhige Vieh im Stall unter sich. Vielleicht schlief sie infolge Erschöpfung rasch ein, wahrscheinlich aber ließen die fremde Umgebung und der Gedanke an ihre Kinder sie nicht so bald Ruhe finden.
    Ich schloß die Augen und versuchte, mir die dunkle und kalte Dachkammer vorzustellen. Sie lag gewiß dort, wo sich heute das kleine hintere Schlafzimmer über dem Kellergeschoß befand, das früher Mrs. Lanes Köchin bewohnt hatte und in dem man heute leere Koffer und Kartons aufbewahrte. Wie nah war Isolda in der Küche dort unten gewesen, und wie unerreichbar!
    »Liebling …«
    Vita beugte sich über mich, aber mir war, als stünde Isolda neben mir, und als ich sie auf das Bett zog, hielt ich nicht meine eigene lebendige Frau in den Armen, sondern den Geist, den ich begehrte, obgleich ich in Wirklichkeit genau wußte, daß sie meine Gefühle niemals erwidern konnte.
    ***
    Als ich die Augen öffnete – denn ich war wohl eine Weile eingeschlafen –, saß Vita auf dem Stuhl vor dem Frisiertisch und schmierte sich Creme ins Gesicht.
    »Nun«, sagte sie lächelnd und sah mich im Spiegel an, »wenn du deine Erbschaft auf diese Weise feierst, habe ich nichts dagegen.«
    Mit dem turbanähnlich um den Kopf geschlungenen Handtuch und der Creme-Maske sah sie aus wie ein Clown, und plötzlich stieß diese Marionettenwelt, in der ich mich wieder befand, mich ab. Ich wollte nichts mehr damit zu tun haben – nie mehr. Ich stand auf und sagte: »Ich schlafe im Ankleidezimmer!«
    Sie starrte mich aus ihrer seltsam unwirklichen Maske an. »Was ist denn los? Was habe ich getan?« fragte sie.
    »Nichts. Aber ich möchte allein schlafen.«
    Ich ging durch das Bad ins Ankleidezimmer, und sie kam mir nach; ihr albernes Nachthemd flatterte hinter ihr her – ein grotesker Widerspruch zu dem feierlichen Turban. Zum erstenmal fiel mir auf, daß ihre Hände mit den gelackten Fingernägeln wie Klauen aussahen.
    »Ich glaube nicht, daß du dich noch mit den Männern getroffen hast«, sagte sie. »Du hast sie bestimmt in Liskeard abgesetzt und dann in irgendeinem Wirtshaus getrunken. Stimmt's?«
    »Nein.«
    »Aber irgend etwas ist doch vorgefallen. Du bist woanders gewesen. Du sagst mir nicht die Wahrheit; alles,

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