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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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was du sagst und tust, ist eine einzige Lüge. Den Anwalt und Willis hast du im Hinblick auf das Labor belogen und die Polizei im Hinblick auf den Tod des Professors. Was in aller Welt steckt nur dahinter? Habt ihr einen geheimen Pakt geschlossen? Weil er sich umbringen wollte und du die ganze Zeit davon wußtest?«
    Ich legte ihr meine Hände auf die Schultern und schob sie aus dem Zimmer. »Ich habe nicht getrunken. Von einem Selbstmord kann nicht die Rede sein. Magnus hat einen Unfall gehabt. Er lief in einen Güterzug, der gerade durch den Tunnel fuhr. Ich stand vor einer Stunde am Bahndamm, und mir wäre beinahe dasselbe passiert. Das ist die Wahrheit, und wenn du mir nicht glaubst, tut es mir leid. Ich kann dich schließlich nicht dazu zwingen.«
    Sie taumelte gegen die Badezimmertür, und als sie sich umdrehte und mich ansah, bemerkte ich einen neuen Ausdruck in ihrem Gesicht, nicht Ärger, sondern Staunen und Abscheu.
    »Du bist wieder hingegangen und hast dagestanden«, rief sie, »an der Stelle, wo er gestorben ist! Du bist absichtlich hingegangen und hast zugesehen, wie ein Zug vorbeifuhr, der auch dich getötet haben könnte?«
    »Ja.«
    »Dann will ich dir sagen, was ich denke. Es ist nicht normal, es ist krankhaft, und das Schlimmste daran ist, daß du es nach einem solchen Erlebnis noch fertigbrachtest, hierherzukommen und mit mir zu schlafen. Das kann ich dir nie verzeihen und nie vergessen. Schlaf in Gottes Namen im Ankleidezimmer. Es ist mir lieber.«
    Sie schlug die Badezimmertür zu, und ich spürte, daß dies nicht eine ihrer impulsiven Gesten war, sondern etwas Grundsätzliches, das ihrem innersten, zutiefst verletzten Gefühl entsprang. Ich verstand sie, ja achtete sie sogar dafür, und ich hatte Mitleid mit ihr, aber ich konnte ihr nicht helfen.
    Am nächsten Morgen begrüßten wir uns nicht wie ein Ehepaar nach einem Streit, sondern wie Fremde, die durch die Umstände gezwungen sind, unter einem Dach zu wohnen: Wir zogen uns an, aßen, gingen von einem Zimmer ins andere, machten Pläne für den Tag und scherzten mit den Kindern – mit ihren Kindern, nicht meinen. Das machte die Trennung noch deutlicher. Ich fühlte, wie unglücklich Vita war, ich bemerkte jeden Seufzer, jeden schleppenden Schritt, den matten Ton ihrer Stimme. Die Jungen spürten den Stimmungswechsel instinktiv und beobachteten uns mit lauerndem Blick.
    »Stimmt es, daß der Professor dir das Haus vermacht hat?« fragte Teddy vorsichtig, als er mich einmal allein antraf.
    »Ja«, sagte ich. »Ich hatte nicht damit gerechnet. Es war sehr freundlich von ihm.«
    »Heißt das, daß wir in allen Ferien hierherkommen?«
    »Ich weiß nicht. Das hängt von Vita ab.«
    Er spielte mit den Gegenständen auf dem Tisch herum, hob sie auf, legte sie wieder hin und trat dann zerstreut gegen die Stuhlbeine.
    »Ich glaube, Mama gefällt es hier nicht«, sagte er.
    »Und dir?«
    »Es geht«, antwortete er achselzuckend.
    Gestern nach dem Fischen mit Tom helle Begeisterung – heute, da zwischen den Erwachsenen Streit in der Luft lag, Apathie und Unsicherheit. Natürlich meine Schuld. Was immer in diesem Haus geschah, war meine Schuld. Ich konnte es ihm nicht erklären und ihn nicht um Verzeihung bitten.
    »Laß nur«, sagte ich. »das wird sich finden. Wahrscheinlich verbringt ihr die Weihnachtsferien in New York.«
    »Au fein! Großartig!« schrie er, lief auf die Terrasse und rief Micky. »Dick sagt, in den nächsten Weihnachtsferien sind wir vielleicht zu Hause!«
    Das Freudengeschrei seines kleinen Bruders offenbarte mir ihre wahre Einstellung gegenüber Cornwall, England, Europa und zweifellos auch ihrem Stiefvater.
    Irgendwie brachten wir das Wochenende hinter uns, obwohl das Wetter umschlug, wodurch alles noch schwieriger wurde. Die Jungen spielten im Kellergeschoß Tischtennis; ich hörte, wie der Ball unten an die Wände prallte, Vita schrieb einen zehnseitigen Brief an Bill und Diana in Irland, und ich sah Magnus' Bücher durch, von den Seemannsgeschichten Kapitän Lanes bis zu den von Magnus selbst ausgesuchten Bänden, und berührte alle mit Besitzerstolz. Der dritte Band der Geschichte der Gemeinden der Grafschaft Cornwall von L bis N – die anderen Bände waren nicht zu finden – stand hinter der Geschichte der Windjammer. Ich zog ihn heraus und überflog den Index. Ich entdeckte Lanlivery, und in dem betreffenden Kapitel nahm Schloß Restormel einen Ehrenplatz ein. Der arme Sir John; seine Amtszeit von sieben Monaten war

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