Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
Vom Netzwerk:
unter deinem Dach?« fragte er. »Wir alle sind Heuchler, mein Freund. Ich warne dich, meine Herrin weiß, wer jene Reisende ist, darum kam sie hierher nach Tywardreath. Sobald die Sache mit Rosgofs Witwe beigelegt ist, will sie Lady Isolda ein paar Vorschläge unterbreiten.«
    »Die, so Gott will, eines Tages aus der Chronik der Priorei gestrichen werden und auf dein Haupt zurückfallen, zu deiner ewigen Schande«, sagte Trefrengy.
    »Du vergißt«, murmelte der Mönch, »ich bin ein Zugvogel, und in wenigen Tagen bin ich nach Frankreich entflogen.«
    In der Menge entstand plötzlich Bewegung, und in der Tür des angrenzenden Gebäudes erschien ein Mann. Er war beleibt, rotgesichtig und hielt eine Urkunde in der Hand. Neben ihm stand, von Kopf bis Fuß in einen Mantel gehüllt, Joanna Champernoune.
    Der Mann, den ich für Hornwynk, den neuen Verwalter, hielt, trat vor, um zur Menge zu sprechen, und entrollte das Dokument in seiner Hand.
    »Ihr guten Leute von Tywardreath«, rief er. »Ob Freie, Erbpächter oder Leibeigene – jene von euch, die dem Lehnshof Pacht zahlen, haben dies heute getan. Und da der Hof Tywardreath einst Lady Isolda Cardinham von Cardinham gehörte, die ihn dem Großvater unseres verstorbenen Herrn verkaufte, haben wir beschlossen, hier einen Brauch einzuführen, der seit der Eroberung durch die Normannen auf dem Gutshof von Cardinham geübt wurde.« Er schwieg einen Augenblick, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. »Dieser Brauch besteht darin, daß jede Witwe eines Lehnsmannes, die vom Pfad der Tugend abgekommen ist, entweder ihrer Länder verlustig geht oder vor dem Herrn und dem Verwalter des Gutshofes in angemessener Weise Buße tut. Heute muß vor Lady Joanna Champernoune, die den minderjährigen Gutsherrn William vertritt, und mir, Philip Hornwynk, dem Verwalter, Mary, die Witwe Robert Rosgofs, solche Buße tun, wenn sie ihre Länder zurückerhalten will.«
    Ein Murmeln ertönte unter den Zuschauern, ein seltsames Gemisch aus Erregung und Neugierde, und von der Straße nach Treesmill hörte man plötzlich Geschrei.
    »Sie wird nicht vor Lady Joanna hintreten«, meinte Trefrengy. »Mary Rosgof hat einen Sohn zu Haus, der lieber zehnmal sein Ackerland opfern würde als seine Mutter der Schande preisgeben.«
    »Du irrst dich«, antwortete der Mönch. »Er weiß, daß ihre Schande sich in sechs Monaten bezahlt macht, wenn sie von einem Bastard entbunden wird, denn dann kann er beide vor die Tür setzen und das Land selbst behalten.«
    »So hast du ihn dazu überredet und ihn bestochen«, sagte Roger.
    Die Rufe und das Geschrei wurden lauter, und während die Leute vorwärtsdrängten, sah ich, wie sich eine Prozession von Treesmill her langsam den Hang hinaufbewegte. Burschen jagten peitschenschwingend voran. Hinter ihnen schritten fünf Männer, und in ihrer Mitte konnte ich eine Frau erblicken. Die Gruppe kam näher, und das Gelächter der Zuschauer steigerte sich zu Jubelgeschrei, denn die Frau schwankte auf ihrem Reittier und wäre beinahe heruntergefallen, wenn nicht einer der Männer, der in der anderen Hand eine Heugabel schwang, sie festgehalten hätte. Sie ritt nicht auf einem Pony, sondern auf einem großen schwarzen Schaf, dessen Hörner mit Trauerflor bebändert waren, und die Burschen zu beiden Seiten hatten dem Tier einen Halfter angelegt, um es zu führen. Verängstigt durch die vielen Menschen, bockte und stolperte es und versuchte vergeblich, seine Reiterin abzuwerfen. Die Frau war passend zu ihrem Reittier in einen schwarzen Schleier gehüllt, und ihre Hände waren mit Lederriemen gebunden. Ich sah, wie ihre Finger sich in die dicke, dunkle Wolke am Hals des Schafes krallten.
    Der Zug näherte sich dem Lehnshof. Als er vor Hornwynk und Joanna zum Stehen kam und die Männer den Halfter losließen, zog der Mann mit der Heugabel der Reiterin den Trauerschleier vom Gesicht, um sie den Leuten zu zeigen. Sie konnte nicht älter als fünfunddreißig sein. Ihre Augen waren angstvoll aufgerissen wie die des Tieres, auf dem sie ritt; das schwarze, von roher Hand beschnittene Haar stand stoppelgleich am Kopf. Das Spottgelächter verstummte, als die zitternde Frau vor Joanna den Kopf neigte.
    »Mary Rosgof, gestehst du deinen Fehltritt?« rief Hornwynk.
    »Ja, ich gestehe in aller Demut«, antwortete sie leise.
    »Sprich lauter, damit alle dich hören, und sag, worum es geht«, rief er.
    Das blasse Gesicht der Unglückseligen errötete; sie hob den Kopf und sah zu Joanna

Weitere Kostenlose Bücher