Ein Tropfen Zeit
ich weder mit ihr noch mit jemand anders teilen. Magnus ja … aber Magnus war ein Mann, und er war tot. Vita war keine streitbare Medea, mit der ich die Zauberkräuter pflücken konnte. Und hoffentlich nicht zu ihrem Jason …
»Liebling«, sagte ich, »hab bitte Geduld mit mir. Das ist sicher nur eine Übergangsphase, kein Scheideweg. Ich kann einfach nicht in die Zukunft sehen. Es ist, als stünde man am Ufer, wenn die Flut steigt, und wartet darauf, daß man hineintauchen kann. Ich kann es dir nicht besser erklären.«
»Ich tauche, wohin du willst, wenn du mich nur mitnimmst«, antwortete sie.
»Ich weiß«, sagte ich, »ich weiß …«
Sie wischte sich die Augen und schneuzte sich, und das verweinte Gesicht wirkte seltsam rührend, so daß ich noch verlegener wurde.
»Wie spät ist es? Ich muß die Jungen abholen«, sagte sie.
»Wir fahren zusammen hin«, antwortete ich, froh, einen Vorwand gefunden zu haben, um das Bündnis zu festigen und mich nicht allein in ihren, sondern auch in meinen Augen zu rechtfertigen. Endlich kam eine fröhliche Stimmung auf, die durch Groll und unausgesprochene Bitterkeit so belastete Atmosphäre war gereinigt, und wir fühlten uns wieder entspannt und locker – fast wie sonst. In dieser Nacht kehrte ich nicht ohne Bedauern aus meiner freiwilligen Verbannung ins gemeinsame Schlafzimmer zurück, denn ich hielt es für diplomatischer; außerdem war die Couch im Ankleideraum ziemlich hart.
Das Wetter wurde schön, und das Wochenende verging bei Segelpartien und Picknicks gemeinsam mit den Jungen. Während ich meine Rolle als Ehemann, Stiefvater und Hausherr wieder auf mich nahm, plante ich insgeheim schon für die kommende Woche. Ich mußte einen Tag für mich haben. Vita selbst verhalf mir nichtsahnend zu der Gelegenheit.
»Wußtest du, daß Mrs. Collins eine Tochter in Bude hat?« fragte sie am Montagmorgen. »Ich habe ihr gesagt, wir würden sie irgendwann in dieser Woche hinbringen, bei ihrer Tochter absetzen und später am Nachmittag wieder abholen. Wie wär's damit? Die Jungen möchten es gern und ich auch.«
Ich tat, als sei ich von dem Plan nicht so begeistert. »Bei dem schrecklichen Verkehr«, wandte ich ein, »sind die Straßen bestimmt verstopft, und Bude ist voller Touristen.«
»Uns stört das nicht«, sagte Vita. »Wir können ja früh losfahren, es sind nur achtzig Kilometer.«
Ich setzte die Miene des hart bedrängten Familienvaters auf, der mit seiner Arbeit im Rückstand ist und nie Zeit findet, sie zu erledigen. »Wenn ihr nichts dagegen habt, wäre es mir lieber, wenn ihr mich zu Hause laßt. Bude reizt mich überhaupt nicht an einem Augustnachmittag.«
»Okay … okay … Wir werden uns auch ohne dich amüsieren.«
Wir einigten uns auf den Mittwoch. An diesem Tag kam kein Lieferant; das paßte mir gut. Wenn sie um halb elf fuhren und Mrs. Collins um fünf Uhr abholten, würden sie erst um sieben wieder hier sein.
Der Mittwochmorgen brach zum Glück strahlend an; ich brachte die drei kurz nach halb zehn zum Buick, im Bewußtsein, jetzt mindestens acht Stunden vor mir zu haben, Stunden für Experimente und zur Entspannung. Ich ging ins Ankleidezimmer und nahm Flasche C aus dem Koffer. Es war die gleiche Flüssigkeit, oder sie sah wenigstens so aus, aber unten am Boden lag ein bräunlicher Satz wie bei Hustensaft, den man nach dem Winter fortgestellt und vergessen hat, bis das kalte Wetter wiederkommt. Ich drehte den Verschluß ab und roch am Inhalt: Er war so farb- und geruchlos wie abgestandenes Wasser. Ich goß für meinen zukünftigen Gebrauch vier Maße in den kleinen Becher oben im Spazierstock, schraubte ihn zu und füllte eine weitere Dosis in das Arzneiglas, das immer noch in der alten Waschküche auf einem Regal neben den Gläsern stand.
Es war ein seltsames Gefühl, wieder einmal zu wissen, daß das ganze Haus oben leer und die gegenwärtigen Bewohner nicht da waren, während in den dunklen Winkeln schon die Leute meiner geheimen Welt warteten.
Nachdem ich die Dosis genommen hatte, setzte ich mich in die alte Küche, erwartungsvoll und gespannt wie ein Theaterbesucher, der eben in die Loge geschlüpft ist, bevor sich der Vorhang zum dritten Akt des Stückes hebt.
Aber es geschah nichts. Die Zeit verharrte hartnäckig: Mittwochmorgen, Mitte August; ich hätte ebensogut einen Schluck vom Wasserhahn in der Küche trinken können, denn mehr bewirkte Flasche C nicht. Um zwölf ging ich wieder ins Labor und goß noch ein paar Tropfen
Weitere Kostenlose Bücher