Ein Tropfen Zeit
ritt fort. Der Wagen, in dem Joanna und der Mönch saßen, rumpelte hinter ihm her, und die wenigen Nachzügler der Menge auf dem Berg blickten ihm nach, wie er den vereisten Weg in Richtung zum Dorfplatz fuhr. Von der Kapelle her ertönte eine Glocke, und ich begann zu laufen, aus Furcht, Roger und den Wagen aus den Augen zu verlieren. Mein Herz klopfte schwer, in meinen Ohren summte es. Ich sah, wie der Wagen stehenblieb; das Fenster wurde herabgedreht, und Joanna blickte heraus und winkte mir zu. Ich stolperte atemlos auf sie zu, während das Summen in meinen Ohren zu einem Brausen anschwoll. Dann verstummte es, ich stand schwankend da, die Uhr der St. Andreaskirche schlug sieben, und vor mir auf der Straße stand der Buick. Vita winkte aus dem Fenster, und die Jungen und Mrs. Collins starrten mich verwundert an.
22
Sie redeten alle zugleich, und die Jungen lachten. Ich hörte, wie Micky sagte: »Wir sahen dich den Hügel hinunterlaufen, du sahst so komisch aus …« Teddy fiel ein: »Mama winkte und rief dir zu, aber du hast gar nichts gehört, du gucktest woanders hin.« Vita blickte mich durch das offene Fenster an. »Du steigst am besten ein«, sagte sie, »du kannst ja kaum stehen.« Mrs. Collins, rot vor Aufregung, öffnete mir auf der anderen Seite die Tür. Ich gehorchte mechanisch und vergaß, neben Mrs. Collins eingeklemmt, meinen eigenen Wagen, den ich an der Ausweichstelle geparkt hatte.
Wir fuhren am Dorfrand vorbei nach Polmear.
»Gut, daß wir diese Straße genommen haben«, sagte Vita. »Mrs. Collins sagte, hier würden wir schneller vorankommen als über Blazey und Par.«
Ich konnte mich durchaus nicht erinnern, wo sie gewesen waren und was sie getan hatten; das Summen in meinen Ohren hatte zwar aufgehört, aber mein Herz klopfte noch stark, und ich fühlte mich einem Schwindel nahe.
»Bude war Klasse«, sagte Teddy. »Wir hatten Bretter zum Wellenreiten, aber Mama erlaubte uns nicht, ins tiefe Wasser hinauszuschwimmen. Und erst die Brandung – riesengroße Wellen, viel schöner als hier. Du hättest mitkommen sollen.«
Bude. Ach so, ja, sie hatten den Tag in Bude verbracht, und ich war allein zu Haus geblieben. Aber warum war ich nur in Tywardreath herumgewandert? Als wir am Armenhaus unten am Hang vorbeifuhren, sah ich ins Tal nach Polpey hinüber und erinnerte mich, daß Julian das abscheuliche Schauspiel nicht abgewartet hatte, sondern nach Haus gegangen war. Lampetho hingegen hatte wie die anderen das Schaf mit Steinen beworfen.
Das war jetzt aus und vorbei. Mrs. Collins hatte Vita wohl gebeten, sie möge sie auf dem Polkerris Hill absetzen, denn als nächstes bemerkte ich, daß sie verschwunden und Vita in Kilmarth vorgefahren war.
»Ihr lauft ins Haus«, befahl sie den Jungen mit scharfer Stimme, »hängt eure Badehosen auf die Leine und deckt den Tisch.« Als sie fort waren, wandte sie sich an mich: »Kannst du es schaffen?«
»Was?« Ich war noch ganz benommen und verstand sie nicht.
»Die Stufen hinauf«, sagte sie. »Du schwanktest, als wir eben ankamen. Es war mir furchtbar peinlich vor Mrs. Collins und den Jungen. Wieviel hast du denn getrunken?«
»Getrunken?« wiederholte ich. »Ich habe gar nichts getrunken.«
»Um Himmels willen«, sagte sie, »lüg doch nicht schon wieder. Es war ein langer Tag, und ich bin müde. Komm, ich helfe dir hinauf.«
Vielleicht war das die beste Lösung. Vielleicht war es besser, wenn sie glaubte, ich hätte im Wirtshaus gegessen. Ich stieg unsicher aus dem Wagen und war froh, daß Vita mir den Arm reichte, um mich zu stützen, so daß ich durch den Garten ins Haus gelangen konnte.
»Es wird schon gehen«, sagte ich. »Ich setze mich in die Bibliothek.«
»Mir wäre es lieber, wenn du gleich ins Bett gingest. Die Jungen haben dich noch nie so gesehen. Es muß ihnen ja auffallen.«
»Ich will nicht ins Bett, ich will nur in der Bibliothek sitzen und die Tür schließen. Sie brauchen ja nicht hereinzukommen.«
»Na gut, wenn du unbedingt willst …« Sie zuckte verärgert die Achseln. »Ich werde ihnen sagen, daß wir in der Küche essen. Aber komme um Gottes willen nicht herunter – ich bringe dir später etwas zu essen.«
Ich hörte, wie sie in die Küche ging und die Tür hinter sich zuschlug, ließ mich auf einen Stuhl fallen und schloß die Augen. Eine seltsame Lethargie überfiel mich, und ich wollte schlafen. Vita hatte recht gehabt, ich hätte ins Bett gehen sollen, aber ich fand nicht einmal mehr die Kraft zum Aufstehen.
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