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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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Wenn ich hier in der Stille ganz ruhig sitzen blieb, würde das Gefühl der Erschöpfung, der Leere bald vergehen. Wenn die Jungen ein Fernsehprogramm ansehen wollten, hatten sie Pech gehabt; ich wollte es morgen wieder gutmachen und sie zum Segeln mitnehmen. Ich mußte auch Vita entschädigen; diese Geschichte warf uns wieder zurück, und die ganze Versöhnung mußte mühselig noch einmal von vorn erkämpft werden.
    Ich fuhr aus dem Schlaf hoch und fand das Zimmer dunkel. Meine Armbanduhr zeigte auf halb zehn. Ich hatte ungefähr zwei Stunden lang geschlafen, fühlte mich wieder recht normal und hatte Hunger. Als ich durch das Eßzimmer in den Gang trat, vernahm ich Schallplattenmusik aus dem Musikzimmer, aber die Tür war geschlossen. Sie mußten schon lange mit dem Essen fertig sein, denn in der Küche brannte kein Licht mehr. Ich suchte im Kühlschrank nach Eiern und Speck und hatte gerade die Pfanne auf den Herd gesetzt, als ich hörte, wie sich im Kellergeschoß jemand rührte. Ich stieg die Hintertreppe hinauf, da ich dachte, es sei einer der Jungen, der mir vielleicht sagen wollte, wie es um Mamas Laune bestellt war.
    »Teddy, Micky!« rief ich.
    Niemand antwortete. Die Schritte waren deutlich zu hören; sie kamen durch die alte Küche auf den Heizungsraum zu. Ich ging wieder hinunter und wollte Licht machen, aber der Schalter war nicht an seinem Platz, ich konnte ihn nicht finden und tastete mich an den Wänden entlang in die alte Küche. Die Schritte bewegten sich jetzt in Richtung auf den Innenhof. Dort hörte ich jemanden stampfen; er holte Waser aus dem zugedeckten und nie benutzten Brunnen an der Hausecke. Jetzt näherten sich weitere Schritte, nicht vom Innenhof, sondern von der Treppe her, und als ich mich umsah, war die Treppe fort, und die Schritte kamen von der Leiter, die in die Dachkammer führte. Es war nicht mehr dunkel, sondern grau und trüb wie an einem Winternachmittag. Eine Frau kam mit einer brennenden Kerze in der Hand die Leiter herab. Wieder begann das Summen in meinen Ohren, heftige Donnerschläge folgten, und die Droge wirkte von neuem, obwohl ich keine zweite Dosis eingenommen hatte. Ich wollte das jetzt nicht, ich fürchtete mich, es bedeutete, daß Vergangenheit und Gegenwart sich mischten, denn vorn im Haus, ganz in meiner Nähe, in meiner Zeit, waren Vita und die Jungen.
    Die Frau schritt an mir vorbei und schützte die Kerze vor der Zugluft. Es war Isolda. Ich drückte mich dicht an die Wand und hielt den Atem an; gewiß mußte sie sich auflösen, wenn ich mich bewegte; sie war sicher nur ein Produkt der Einbildung, ein Nachklang von den Vorgängen des Nachmittags. Sie stellte die Kerze auf eine Bank, zündete eine andere daneben an und summte dabei leise vor sich hin, das Bruchstück eines seltsam zärtlichen Liedes. Gleichzeitig hörte ich den Plattenspieler aus dem Musikzimmer im Erdgeschoß.
    »Robbie«, rief sie sanft, »Robbie, bist du da?«
    Der Junge kam durch den niedrigen Torbogen aus dem Hof und stellte den Eimer auf den Küchenboden.
    »Friert es noch?« fragte sie.
    »Ja, und es friert auch weiter, bis der Vollmond vorbei ist. Ihr müßt noch ein paar Tage bleiben, wenn Ihr uns so lange ertragen könnt.«
    »Ertragen?« sagte sie lächelnd. »Ich habe Freude an euch und bin gern hier. Ich wünschte, meine Kinder wären ebenso artig wie du und Bess und hörten auch immer so gut auf mich wie ihr auf euren Bruder Roger.«
    »Wir gehorchen nur aus Respekt vor Euch«, antwortete er. »Bevor Ihr kamt, gab es harte Worte und Schläge mit dem Gürtel.« Er schüttelte lachend das dichte Haar aus den Augen, hob den Eimer und goß das Wasser in einen Krug auf dem Tisch. »Seitdem essen wir auch so gut«, fügte er hinzu. »Jeden Tag Fleisch, anstatt gesalzenen Fisch, und das Schwein, das ich gestern geschlachtet habe, wäre bis nach der Fastenzeit im Stall geblieben, wenn Ihr nicht unseren Tisch beehrtet. Bess und ich möchten am liebsten, daß Ihr immer bei uns bleibt und uns auch dann nicht verlaßt, wenn das Wetter besser wird.«
    »Aha, ich verstehe«, bemerkte Isolda scherzend. »Ihr wollt mich nicht um meinetwillen hier behalten, sondern weil ihr so angenehm lebt.«
    Er runzelte die Stirn, da er offenbar nicht verstand, was sie meinte. »Nein, das ist nicht wahr«, sagte er dann. »Als Ihr ankamt, dachten wir zuerst, Ihr würdet die große Dame spielen, und wir könnten es Euch nie recht machen, aber so war es nun nicht. Es ist, als gehörtet Ihr zu uns. Bess liebt

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