Ein Tropfen Zeit
hinüber.
»Ich lag bei einem anderen Mann, nachdem mein Mann vor kaum sechs Monaten gestorben war, und verlor so das Ackerland, das ich für meinen Sohn verwaltete. Ich flehe meine Herrin und das Gericht des Gutshauses um Nachsicht an und bitte, mir das Land zurückzugeben, da ich meine Unkeuschheit beichte … Sollte ich ein niedrig geborenes Kind zur Welt bringen, so wird mein Sohn das Land in Besitz nehmen und damit tun, was er will.«
Joanna winkte den neuen Verwalter heran; dieser beugte sich nieder, und sie flüsterte ihm etwas ins Ohr. Danach wandte er sich wieder an die Büßerin.
»Meine gnädige Herrin kann deinen Fehltritt nicht verzeihen, denn er ist verabscheuungswürdig in den Augen aller Menschen. Aber da du ihn vor dem Gericht des Gutshauses und dieser Gemeinde selbst eingestanden hast, wird sie dir in ihrer großen Huld das verwirkte Land zurückgeben, das du von ihr gepachtet hast.«
Die Frau neigte den Kopf, murmelte ein Dankeswort und fragte dann mit tränennassen Augen, ob sie noch weiter Buße tun müsse.
»Ja«, entgegnete der Verwalter. »Steige von dem Schaf, das dich in deiner Schande hierhertrug, krieche auf den Knien zur Kapelle und beichte deine Sünde vor dem Altar. Bruder Jean wird dir die Beichte abnehmen.«
Die beiden Männer, die das Schaf hielten, zogen die Frau von seinem Rücken herab, zwangen sie in die Knie, und sie schleppte sich, von ihren Röcken behindert, zur Kapelle. Zugleich erhob sich in der Menge ein Stöhnen, als könnte diese Erniedrigung eigene Schuldgefühle besänftigen. Der Mönch wartete, bis sie dicht an ihn herangekrochen war, dann ging er in die Kapelle voraus, und sie folgte ihm. Ihre Begleiter ließen auf ein Zeichen Hornwynks das Schaf los, worauf es erschrocken zwischen den Menschen herumlief, die nach allen Seiten auseinanderstoben und es dann mit hysterischem Gelächter nach Treesmill hinuntertrieben, wobei sie es mit Schneeklumpen und Stöcken bewarfen, mit allem, was sie finden konnten. Jetzt war die Spannung plötzlich gelöst, alle lachten und scherzten wie in Festtagslaune, denn der ganze Vorfall bildete eine willkommene Abwechslung zwischen dem Winter und der beginnenden Fastenzeit. Bald hatten die Massen sich verlaufen, und vor dem Lehnshof standen nur noch Joanna, Hornwynk, Roger und Trefrengy.
»So, das wär's«, sagte Joanna. »Sag meinen Knechten, ich sei zur Abfahrt bereit. Hier in Tywardreath hält mich nichts mehr außer einer Angelegenheit, die ich auf dem Heimweg erledigen kann.«
Der Verwalter ging den Pfad hinab, um das Zeichen zur Abfahrt zu geben, und die Knechte öffneten den bereitstehenden Wagen. Joanna blieb einen Augenblick stehen und blickte Roger an.
»Die Leute waren zufrieden, auch wenn es dir nicht paßte«, sagte sie, »und sie werden ihre Pacht in Zukunft nur um so bereitwilliger zahlen. Der Brauch hat seine Vorteile, da er Furcht einflößt; vielleicht übernehmen ihn auch andere Gutsherren.«
»Gott behüte!« antwortete Roger.
Geoffrey Lampetho hatte mit seiner Bemerkung über die Schminke auf Joannas Gesicht recht gehabt, möglicherweise war die Luft im Lehnshof dumpf gewesen, jedenfalls lief nun die Farbe in Strömen über ihre fetten rotbraunen Wangen. Sie schien um gut zehn Jahre gealtert, seit ich sie zum letztenmal gesehen hatte. Der Glanz ihrer braunen Augen war erloschen, und sie wirkten hart wie Achat.
Sie streckte die Hand aus und berührte Roger am Arm. »Komm«, sagte sie, »wir kennen einander lange genug und brauchen keine Lügen und Ausflüchte … Ich bringe Lady Isolda Nachricht von ihrem Bruder Sir William Ferrers, und ich habe ihm versprochen, sie ihr selbst zu überreichen. Wenn du mir jetzt das Tor verriegelst, kann ich auf dem Gutshof fünfzig Männer zusammenrufen, daß sie es einbrechen.«
»Und ich hier und in Fowey ebenfalls fünfzig, um ihnen Widerstand zu leisten«, antwortete Roger. »Aber Ihr mögt mir nach Kylmerth folgen, wenn Ihr wünscht, und um eine Unterredung bitten. Ob sie Euch gewährt wird, kann ich allerdings nicht sagen.«
Joanna lächelte.»O ja, das wird sie gewiß«, sagte sie, hob ihre Röcke und rauschte, gefolgt von Bruder Jean, zum Wagen. Einst hätte Roger ihr in das wartende Gefährt geholfen, heute versah der neue Verwalter Hornwynk, glühend von Selbstzufriedenheit und mit tiefen Bücklingen, diesen Dienst. Roger ging unterdessen zum Tor hinter der Kapelle, wo er sein Pony angebunden hatte, sprang auf, drückte dem Tier die Fersen in die Weichen und
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