Ein Tropfen Zeit
habe es immer gewußt. Und wenn ich Euch Anlaß gab, etwas anderes zu vermuten, so vergebt mir.«
Er hob den Kopf und horchte. Hinter dem dunklen Gehölz über dem Hof ertönten Stimmen und Schritte, und dann erschienen drei Knechte der Champernounes unter den kahlen Bäumen.
»Roger Kylmerth«, rief der eine, »der Weg ist zu schlecht, der Wagen kann nicht bis an dein Haus fahren, und meine Herrin wartet auf dem Hügel.«
»Dann muß sie entweder dort bleiben oder zu Fuß kommen!«
Die Männer zögerten eine Weile und beratschlagten miteinander, und Isolda verschwand auf ein Zeichen Rogers rasch im Haus. Roger pfiff, und Robbie kam aus dem Ponystall.
»Lady Champernoune kommt mit ein paar Knechten«, sagte Roger ruhig. »Vielleicht hat sie auf dem Weg von Tywardreath hierher noch mehr Leute zusammengerufen. Dann wird es schwierig. Bleib in der Nähe für den Fall, daß ich dich brauche.«
Robbie nickte und ging in den Stall zurück. Es wurde rasch dunkler und kälter, und die Bäume zeichneten sich noch schärfer gegen den Himmel ab. Jetzt sah ich die ersten Fackeln oben auf dem Berg. Joanna stieg mit drei Knechten und dem Mönch herab. Sie gingen langsam und schweigend, und Joannas dunkler Umhang und die Kutte des Mönchs verschwammen miteinander, als wären die beiden eine Person. Ich, der ich neben Roger stand, hatte den Eindruck, daß von der Gruppe etwas Finsteres ausging; die verhüllten Gestalten hätten ebensogut in einem Leichenzug zum offenen Grab eines Friedhofs gehen können.
Als sie vor dem offenen Tor ankamen, blieb Joanna stehen, sah sich um und sagte zu Roger: »In den zehn Jahren, da du meinem Hause dientest, hast du nie daran gedacht, mich hier zu empfangen.«
»Nein, Mylady«, antwortete er, »Ihr habt mich nie um Obdach gebeten und es auch nie gebraucht. Ihr fandet Euren Trost stets unter eigenem Dach.«
Die Ironie berührte sie wohl nicht, oder sie tat, als überhöre sie die Bemerkung. Roger ging ihr voran zum Haus.
»Wo sollen meine Knechte warten?« fragte sie. »Habe die Freundlichkeit, sie in deine Küche zu schicken.«
»Wir wohnen selbst in der Küche«, antwortete er, »und Lady Carminowe wird Euch dort empfangen. Eure Männer werden es im Stall bei den Kühen oder bei den Ponys warm genug finden, ganz wie sie wollen.«
Er trat beiseite, um sie mit dem Mönch einzulassen, und folgte ihnen. Als wir über die Schwelle traten, sah ich, daß der Tisch dicht vor den Herd geschoben war, die schlanken Kerzen standen darauf, und an einem Ende des Tisches saß Isolda allein. Bess war sicher in die Dachkammer gestiegen.
Joanna blickte sich um; vermutlich war sie bestürzt über eine solche Umgebung. Wer weiß, was sie erwartet hatte – größeren Komfort vielleicht, mit gestohlenen Möbeln aus ihrem verlassenen Gutshaus.
»So …«, sagte sie schließlich, »dies ist deine Zuflucht. Für einen Winterabend vielleicht behaglich genug, abgesehen vom Gestank der Tiere im Hof. Wie geht es dir, Isolda?«
»Sehr gut, wie du siehst«, antwortete Isolda. »Ich habe hier besser gelebt und in den zwei Wochen meines Hierseins mehr Freundlichkeit erfahren als in vielen Monaten und Jahren in Tregesteynton oder Carminowe.«
»Ich bezweifle es nicht«, sagte Joanna. »Die Erinnerung gibt dem erloschenen Appetit ja stets neuen Anreiz. Du hattest einst Gefallen an Schloß Bodrugan gefunden, aber wäre Otto noch am Leben, so wärst du seiner so müde geworden wie deiner anderen Gutshöfe und der anderen Männer – den eigenen inbegriffen. Nun, dies ist reicher Lohn. Sag mir, gehörst du hier vor dem Herd beiden Brüdern an?«
Ich sah, daß Roger erschrak und vorwärtstrat, als wollte er sich zwischen beide Frauen stellen, aber Isolda hob nur das bleiche Gesicht in das flackernde Kerzenlicht und lächelte.
»Noch nicht«, sagte sie. »Der ältere ist zu stolz, der jüngere zu schüchtern. Meine Sympathiebekundungen stoßen auf taube Ohren. Was willst du von mir, Joanna? Hast du mir Nachricht von William gebracht? Wenn ja, so sprich klar und deutlich und komme zum Schluß.«
Der Mönch, der immer noch neben der Tür stand, zog einen Brief aus seiner Kutte und reichte ihn Joanna, die jedoch abwinkte.
»Lies ihn Lady Champernoune vor«, sagte sie. »Ich möchte nicht in diesem trüben Licht meine Augen anstrengen. Und du kannst uns allein lassen«, fügte sie zu Roger gewandt hinzu. »Familienangelegenheiten gehen dich nichts mehr an. Du hast dich lange genug eingemischt, als du noch mein
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