Ein Tropfen Zeit
Euch, und ich liebe Euch auch. Und Roger, na, Gott weiß, daß er schon seit über zwei Jahren Euer Loblied singt.«
Er errötete plötzlich, als habe er zuviel gesagt, und sie legte ihm die Hand auf den Arm.
»Lieber Robbie«, sagte sie sanft, »ich habe dich und Bess auch lieb und werde die herzliche Aufnahme, die ich in den vergangenen Wochen bei euch gefunden habe, nie vergessen.«
Wieder ertönten Schritte. Ich hob den Kopf und lauschte zum oberen Stockwerk hinauf, aber es war nur das Mädchen, das die Leiter herunterkam, sichtlich viel sauberer, als ich sie das erstemal gesehen hatte; das lange Haar war glatt gekämmt, das Gesicht sauber gewaschen.
»Ich höre Roger durch den Wald reiten«, rief sie. »Versorge du das Pony, wenn er hier ist, Robbie, ich decke inzwischen den Tisch.«
Der Junge ging in den Hof, und seine Schwester schüttete frischen Torf und Farnkraut im Herd auf. Der Farn fing sogleich Feuer und flammte auf; lange Flammenzungen huschten über die rauchgeschwärzten Wände hin, und als Bess sich umdrehte und Isolda zulächelte, wußte ich, wie es im Winter Abend für Abend bei ihnen zuging, wenn die vier am Tisch saßen, vor sich die flackernden Kerzen.
»Da kommt dein Bruder«, sagte Isolda, und sie trat in die Tür, als er in den Hof ritt, sich vom Pony schwang und Robbie die Zügel zuwarf. Es war noch nicht dunkel. Der Hof, viel ausgedehnter als der heutige Platz zwischen Haus und Nebengebäuden, reichte bis zur Mauer, so daß ich durch das offene Tor die Felder sehen konnte, die sich ans Meer hinabsenkten, und dahinter die weite Fläche der Bucht. Der Schlamm im Hof war fest gefroren, die Luft war beißend kalt, und die Bäume des Gehölzes hoben sich schwarz und kahl vor dem Himmel ab. Robbie führte das Pony in den Schuppen neben dem Kuhstall, während Roger durch den Hof auf Isolda zuging.
»Du bringst schlechte Nachricht«, sagte sie. »Ich sehe es deinem Gesicht an.«
»Meine Herrin weiß, daß Ihr hier seid«, erklärte Roger. »Sie ist auf dem Weg hierher und bringt Euch Nachricht von Eurem Bruder. Wenn Ihr es wünscht, kann ich den Wagen oben auf dem Hügel umkehren lassen. Robbie und ich werden mit den Knechten leicht fertig.«
»Jetzt vielleicht«, antwortete sie, »aber später könnten sie euch und dem Haus Unglück bringen. Und das möchte ich um nichts in der Welt.«
»Lieber soll das Haus dem Erdboden gleichgemacht werden, als daß ich zuließe, daß Euch ein Leid geschieht«, sagte er.
Er blickte auf sie herab, und ich spürte, daß seine Beziehung zu ihr infolge ihrer Nähe und der gegenseitigen Zuneigung vergangener Tage einen Punkt erreicht hatte, da seine Liebe nicht länger bezwungen werden und im verborgenen glühen konnte, sondern aufflammen oder aber ganz erlöschen mußte.
»Ich weiß, Roger«, sagte sie, »aber alle weiteren Leiden, die mir auf meinem Weg bestimmt sind, kann ich allein tragen. Wenn ich über zwei Häuser, das meines Mannes und das Otto Bodrugans, Schande gebracht habe – und das wird man sicher in künftigen Jahren von mir sagen –, so möchte ich dir nicht dasselbe antun.«
»Schande?« Er breitete die Hände aus und blickte auf die niedrigen Mauern, die den Hof einfaßten, und das strohgedeckte Haus. »Dies war meines Vaters Hof, und er wird Robbie gehören, wenn ich sterbe. Hättet Ihr nur eine Nacht statt fünfzehn Nächte hier Zuflucht gesucht, so wäre unserm Haus damit für Jahrhunderte Gnade genug gewährt.«
Sie spürte wohl die Tiefe des Gefühls, ja die Leidenschaft in seiner Stimme, denn plötzlich glitt ein Schatten über ihr Gesicht, als mahnte eine innere Stimme sie zur Vorsicht und riefe ihr zu: So weit und nicht weiter. Sie trat an das offene Tor, legte die Hand darauf und blickte über die Felder auf die Bucht hinaus.
»Fünfzehn Nächte«, wiederholte sie, »und jeden Abend, seit ich hier bin, habe ich über das Meer nach Chapel Point hingesehen und mich erinnert, wie sein Schiff dort unterhalb von Bodrugan vor Anker lag. Durch diese Bucht segelte er, wenn er zu mir kam. Ein Teil von mir ist an jenem Tag, als sie ihn ertränkten, mit ihm gestorben. Roger, ich glaube, du weißt das.«
Ich fragte mich, was Roger sich wohl erträumt und ob er sich in seiner Phantasie ein gemeinsames Leben vorgestellt hatte – keine Ehe, keine heftige Liebschaft, nur einen Zustand wissender Vertrautheit, an der außer ihnen niemand teilhaben sollte. Dieser Traum war nun zerbrochen, als sie Bodrugans Namen aussprach.
»Ja, ich
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