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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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übliche Exemplar des Nichtangepaßten mit unterschwelligen homosexuellen Neigungen eingeordnet, der von Geburt an unter einem Mutterkomplex und einem Stiefvaterkomplex litt, mit einer Abneigung gegen den Geschlechtsverkehr mit seiner Frau, einer ehemaligen Witwe, und dem verdrängten Wunsch, mit einer Blondine zu schlafen, die nur in der Einbildung existierte.
    Das paßte natürlich sehr gut zusammen. Die Priorei war Stonyhurst, Bruder Jean war der aalglatte Kerl, bei dem ich Geschichtsunterricht gehabt hatte, Joanna war meine Mutter und die arme Vita in einer Person, und Otto Bodrugan war der schöne, fröhliche Abenteurer, der ich in Wirklichkeit zu sein wünschte. Die Tatsache, daß sie alle nachweislich gelebt hatten, hatte Dr. Powell nicht beeindruckt. Schade, daß er die Droge nicht selbst ausprobiert hatte. Vielleicht hätte er dann anders gedacht.
    Nun, jetzt war es vorbei. Ich mußte mich mit seiner Diagnose und seinen Ferienplänen abfinden. Das war aber auch das Geringste, was ich tun konnte, nachdem ich Vita beinahe umgebracht hatte.
    Seltsam, daß er nichts über Nebenwirkungen oder spätere Reaktionen gesagt hatte. Vielleicht hatte er das mit John Willis besprochen, und dieser hatte zugestimmt. Aber Willis wußte nichts von dem blutunterlaufenen Auge, von den Schweißausbrüchen, der Übelkeit und dem Schwindel. Niemand wußte es, aber Dr. Powell hatte es vielleicht vermutet, besonders nach unserer ersten Begegnung. Jedenfalls fühlte ich mich jetzt völlig normal. Zu normal, um die Wahrheit zu gestehen. Wie ein kleiner Junge, den man verprügelt hat und der versprochen hat, sich zu bessern.
    Ich öffnete die Tür und rief Vita. Sie kam sofort herauf, und ich sah beschämt und schuldbewußt, was sie in den vergangenen Wochen durchgemacht haben mußte. Sie war blaß und abgemagert. Ihr sonst untadeliges Haar war hastig hinter die Ohren zurückgekämmt, und in ihren Augen bemerkte ich einen angespannten, unglücklichen Ausdruck, den ich nie vorher an ihr gesehen hatte.
    »Er hat mir gesagt, daß du bereit bist, abzufahren«, sagte sie. »Glaub mir, es war seine Idee, nicht meine. Ich möchte nur das tun, was für dich am besten ist.«
    »Ich weiß«, sagte ich, »und er hat völlig recht.«
    »Du bist also nicht böse? Ich hatte solche Angst, daß du böse bist.«
    Sie setzte sich neben mich auf den Bettrand, und ich legte den Arm um sie.
    »Eins mußt du mir versprechen«, bat ich sie, »und zwar alles, was bisher geschehen ist, zu vergessen. Ich weiß, daß das praktisch unmöglich ist, aber ich bitte dich dennoch darum.«
    »Du bist krank gewesen. Ich weiß, warum, der Arzt hat es mir erklärt. Er hat es auch den Jungen gesagt, und sie verstehen es. Wir machen dir keine Vorwürfe, Liebling. Wir wollen nur, daß du dich erholst und wieder glücklich wirst.«
    »Haben sie keine Angst vor mir?«
    »Liebe Zeit, nein. Sie denken ganz vernünftig. Sie waren beide so lieb und haben mir geholfen, besonders Teddy. Sie hängen sehr an dir, Liebling. Ich glaube nicht, daß du das wirklich weißt.«
    »O doch, ich weiß es«, sagte ich, »das macht ja alles noch schlimmer. Aber lassen wir das. Wann wollen wir fahren?«
    Sie zögerte. »Doktor Powell meinte, du würdest Freitag imstande sein zu reisen, und er riet mir, schon die Fahrkarte zu besorgen.«
    Freitag … Übermorgen.
    »Okay«, sagte ich, »wenn er es so will. Dann ist es wohl besser, ich rühre mich ein bißchen und bereite mich vor. Ich suche ein paar Sachen zusammen, die gepackt werden müssen.«
    »Solange du es nicht übertreibst. Ich schicke dir Teddy herauf, er kann dir helfen.« Sie übergab mir die im Laufe der Woche eingetroffene Post, und als ich sie durchgesehen und das meiste in den Papierkorb geworfen hatte, erschien Teddy schon in der Tür.
    »Mama sagt, du hättest gern Hilfe beim Packen«, sagte er schüchtern.
    »Gut, mein Sohn, ja, das wäre nett. Ich habe gehört, daß du letzte Woche der Herr im Hause gewesen bist und alles gut erledigt hast.«
    Er errötete vor Freude. »Oh, ich weiß nicht. Ich habe nicht viel getan. Nur ein paarmal das Telefon abgenommen. Gestern rief einer an, der fragte, ob es dir besser ginge, und er ließ grüßen. Ein Mister Willis. Er ließ seine Nummer da, falls du ihn anrufen willst. Und er gab noch eine andere Nummer. Ich habe sie beide aufgeschrieben.«
    Er zog einen abgegriffenen Notizblock aus der Tasche und riß eine Seite heraus. Ich erkannte die erste Nummer – es war Magnus' Labor. Aber die

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