Ein Tropfen Zeit
daran denke: du kennst doch die mit ›B‹ etikettierte Flasche im Labor neben der A-Lösung, die du genommen hast?«
»Ja.«
»Pack sie sorgfältig ein und schick sie mir her. Ich will sie testen.«
»Du willst sie in London ausprobieren?«
»Nicht an mir selbst, sondern an einem gesunden jungen Affen. Er wird wohl nicht seine mittelalterlichen Vorfahren sehen, aber vielleicht wird ihm schwindlig. Auf Wiedersehen.«
Magnus hatte wieder in seiner gewohnten brüsken Art aufgehängt, und er ließ mich mit einem Gefühl der Leere zurück. So war es immer, wenn wir uns trafen, miteinander sprachen oder einen Abend zusammen verbrachten. Zuerst die Anregungen, bei denen die Stunden verflogen, und plötzlich ging er, winkte ein Taxi heran, war fort und ließ sich wochenlang nicht sehen, und ich blieb unschlüssig stehen und wanderte nach Hause.
»Wie war dein Professor?« fragte Vita dann in dem etwas spöttischen Ton, den sie stets anschlug, wenn sie vermutete, daß ich einen Abend mit Magnus verbracht hatte; dabei betonte sie das dein, was seine Wirkung nie verfehlte und mich jedesmal reizte.
»Wie immer«, antwortete ich, »voller verrückter Ideen, die mich amüsieren.«
»Freut mich, daß du dich amüsiert hast«, sagte sie darauf, aber mit einem bissigen Unterton, der nicht gerade auf Freude schließen ließ. Als ich einmal nach einer etwas längeren Sitzung als gewöhnlich gegen zwei Uhr morgens ziemlich angeheitert nach Hause kam, sagte sie, Magnus beanspruche mich zu sehr, und wenn ich zu ihr zurückkomme, sähe ich immer aus wie ein zusammengefallener Ballon.
Das war eine unserer ersten heftigen Szenen, und ich wußte nicht, wie ich mich verhalten sollte. Sie lief durch das Wohnzimmer, schüttelte die Kissen zurecht und leerte ihren Aschenbecher, während ich mit bekümmerter Miene auf dem Sofa saß. Wir gingen ins Bett, ohne miteinander zu sprechen, aber am nächsten Morgen tat sie zu meiner Überraschung und Erleichterung, als sei nichts geschehen. Magnus wurde nicht mehr erwähnt, aber ich nahm mir stillschweigend vor, nicht mehr mit ihm essen zu gehen, es sei denn, Vita war ebenfalls verabredet.
Heute fühlte ich mich nicht wie ein zusammengefallener Ballon, als er auflegte – der Ausdruck war, wenn man es recht bedachte, doch sehr beleidigend, er erinnerte an die stinkende Luft des Ballons, an den Atem eines anderen –, nur nicht gerade angeregt und auch ein wenig beunruhigt, denn warum wollte er plötzlich Flasche B einem Test unterziehen? Wollte er seine Erfindung erst an dem unglückseligen Affen ausprobieren, bevor er mich, sein menschliches Versuchskaninchen, einem womöglich noch schwereren Test unterzog? Flasche A enthielt immer noch genügend Flüssigkeit, so daß ich weitermachen konnte …
Ich schreckte aus meinem Gedankengang auf. Weitermachen? Das klang wie ein Alkoholiker, der zum nächsten Saufgelage geht, und ich dachte an Magnus' Bemerkung über die Möglichkeit, daß die Droge süchtig mache. Vielleicht war das ein weiterer Grund dafür, daß er sie an einem Affen ausprobieren wollte. Ich sah die bedauernswerte Kreatur vor mir, wie sie mit glasigen Augen im Käfig herumsprang und keuchend nach der nächsten Spritze verlangte.
Ich tastete nach dem Fläschchen in meiner Tasche und spülte es sorgfältig aus, stellte es aber nicht wieder auf das Regal in der Speisekammer, denn Mrs Collins konnte es aus Versehen woanders hinstellen, und wenn ich es dann haben wollte, mußte ich sie danach fragen, und das war lästig. Es war zu früh für das Abendessen, aber das Tablett mit Schinken, Salat, Obst und Käse, das sie hergerichtet hatte, sah verlockend aus, und so beschloß ich, es ins Musikzimmer mitzunehmen und einen Abend am Kaminfeuer zu verbringen.
Ich griff nach einer Schallplatte und legte sie auf. Dann eine andere. Aber gleichgültig, welche Klänge das Musikzimmer erfüllten – ich kehrte doch in Gedanken immer wieder zu den Vorgängen des Nachmittags zurück, zur Audienz im Ordenskapitel der Priorei, dem Schlachtfest auf dem Dorfplatz, zu dem Musikanten mit Kapuze und Doppelhorn, der zwischen Kindern und bellenden Hunden einherwanderte. Vor allem dachte ich an jene junge Frau mit dem geflochtenen Haar und dem edelsteinbesetzten Stirnband, die an einem Nachmittag vor sechshundert Jahren so gelangweilt dreingeblickt hatte, bis sie bei der Bemerkung eines Mannes aus jener anderen Zeit den Kopf hob und lächelte. Diese Bemerkung hatte ich nicht verstanden.
5
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