Ein Tropfen Zeit
verheiratet wurde. Das war damals eine beachtliche Summe.«
Ich überschlug im Kopf rasch die Zahlen. Meine Isolda konnte wohl kaum vor 1300 geboren sein. Sie hatte bei der Audienz des Bischofs nicht älter als achtundzwanzig Jahre gewirkt, womit dieses Ereignis um 1329 zu datieren war.
Ich stand neben dem Pfarrer, als er einkaufte. »Feiert man eigentlich in Tywardreath immer noch den Martinstag?« fragte ich.
»Den Martinstag?« wiederholte er erstaunt – er war gerade damit beschäftigt, Zwieback auszusuchen. »Verzeihen Sie, ich verstehe nicht ganz. Das war in den Jahrhunderten vor der Reformation ein volkstümliches Fest. Natürlich haben wir noch den St. Andreastag, und das Kirchenfest feiern wir im allgemeinen Mitte Juni.«
»Tut mir leid«, murmelte ich, »ich habe die Daten durcheinandergebracht. Ich bin nämlich katholisch erzogen worden und in Stonehurst zur Schule gegangen, und mir schien, als hätte der Abend des Martinstags für uns immer eine gewisse Bedeutung gehabt …«
»Da haben Sie ganz recht«, unterbrach er mich lächelnd. »Jetzt feiern wir statt dessen den 11. November, den Waffenstillstandstag, nicht wahr? Oder vielmehr den Waffenstillstandssonntag. Aber nun verstehe ich Ihr Interesse an der Priorei, da Sie Katholik sind.«
»Nicht praktizierend«, gestand ich. »Aber so ist es. Von den alten Bräuchen kommt man so schnell nicht los. Gibt es auf dem Dorf platz auch einen Markt?«
»Nein, leider nicht«, sagte er nun aufrichtig verwirrt, »und so viel ich weiß, hat es in Tywardreath auch nie einen Dorfplatz gegeben. Entschuldigen Sie …«
Er beugte sich vor, damit die Verkäuferin seine Sachen in den Korb werfen konnte, um sich dann mir zuzuwenden. Ich blickte auf die Liste, die mir Mrs. Collins mitgegeben hatte, und der Pfarrer ging nach einem vergnügten »Guten Morgen« seines Wegs. Ich fragte mich, ob er mich wohl für verrückt hielt oder nur für einen der exzentrischen Freunde Professor Lanes. Ich hatte ganz vergessen, daß der Martinstag am 11. November war. Ein seltsames Zusammentreffen. Damals wurden Ochsen, Schweine und Schafe geschlachtet, und in der heutigen Welt war es ein Gedenktag für die unzähligen Kriegsgefallenen. Das mußte ich Magnus erzählen.
Ich trug die schweren Taschen hinaus, verstaute sie im Kofferraum des Wagens und fuhr nach Tywardreath. Aber anstatt vor dem Friseurladen zu parken wie am Tag zuvor, fuhr ich langsam bergan durch das Dorf und versuchte dabei, jenen nicht mehr vorhandenen Platz zu rekonstruieren. Umsonst, rechts und links vor mir standen Häuser, und oben auf dem Hügel zweigte der Weg nach rechts in Richtung Fowey ab, während auf dem Schild zur Linken ›Nach Treesmill‹ stand. Von diesen Hügeln her waren gestern der Bischof mit seinem Gefolge, waren die Reisewagen der Carminowes, der Champernounes und Bodrugans mit dem kunstgerecht gemalten Wappen gekommen. Wo lag wohl der Besitz Sir Henry Champernounes, des Gutsherrn? Seine Frau Joanna hatte zu ihrem Verwalter, meinem Reiter Roger, gesagt: »Die Bodrugans bleiben heute nacht bei uns.« Wo hatte das Gutshaus gestanden? Oben auf dem Hügel hielt ich an und blickte mich um. In Tywardreath gab es kein größeres Haus; einige der Hütten konnten aus dem späten achtzehnten Jahrhundert stammen, aber keine gehörte einer früheren Zeit an. Die Vernunft sagte mir, daß Gutshäuser selten zerstört werden, es sei denn durch Feuer, und selbst wenn sie bis auf den Boden abbrannten oder die Mauern zerfielen, so würde das Haus doch innerhalb von wenigen Jahren wieder aufgebaut werden.
Ich blickte auf meine Uhr. Es war nach elf, und Mrs. Collins wartete, um die Einkäufe zu verstauen und das Mittagessen zu machen. Außerdem mußte ich an Vita schreiben.
Nach dem Essen setzte ich mich an den Schreibtisch. Ich brauchte etwa eine Stunde und war mit dem Ergebnis nicht sehr zufrieden. Aber es mußte gehen.
»Liebling«, schrieb ich, »ich hatte, bis Dein Brief heute morgen kam, nicht recht begriffen, daß Du ja schon heute zurückfliegst. Du wirst diesen Brief also nicht vor morgen bekommen. Verzeih mir, wenn ich alles durcheinandergebracht habe. Um die Wahrheit zu sagen, gab es hier ungeheuer viel zu tun, um das Haus für Dich und die Jungen herzurichten, und ich habe seit meiner Ankunft schwer gearbeitet. Mrs. Collins, Magnus' guter Hausgeist, ist großartig, aber Du weißt ja, wie es in einem Junggesellenhaushalt aussieht. Magnus war seit Ostern nicht mehr hier, darum wirkte alles ganz
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