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Ein Tropfen Zeit

Titel: Ein Tropfen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daphne DuMaurier
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hinunter, brachten ihre Pferde zum Stehen und sahen uns schweigend zu.
    Während Roger und die Mönche in den Fluß wateten, um die Planken ans Ufer zu ziehen, rief der Anführer der Reiter: »Ein Geburtstagspaket für meine Frau, Roger Kylmerth! Sieh zu, daß sie es erhält, und grüß sie von mir, und wenn sie damit fertig ist, sag ihr, daß ich sie in Carminowe erwarte.«
    Er lachte laut auf, und seine Männer stimmten ein, dann lenkten sie ihre Pferde den Hügel hinauf und ritten fort.
    Roger zog mit Hilfe eines Mönchs die Planke an Land, die anderen bekreuzigten sich und beteten, und einer kniete am Ufer nieder. An Bodrugan war keine Messerwunde zu sehen, keine Spur der Gewalt. Das Wasser strömte ihm aus dem Mund, und seine Augen standen weit offen. Sie hatten ihn ertränkt, bevor sie ihn an der Planke festschnallten.
    Roger löste das Tau und trug ihn in seinen Armen zur Mühle. Das Wasser troff ihm aus dem Haar. »Barmherziger Gott«, murmelte er, »wie soll ich es ihr sagen?«
    Das war nicht notwendig. Als wir uns der Mühle zuwandten, sahen wir Robbie und Isolda auf ihren Ponys heranreiten; Isoldas Haare hingen in nassen Strähnen auf die Schultern herab, und ihr Umhang flatterte im Wind. Robbie erkannte mit einem Blick, was geschehen war, fiel ihr in die Zügel und wollte das Pony zurückführen, aber sie sprang rasch ab und eilte den Hang hinab auf uns zu.
    »Oh, mein Geliebter«, rief sie, »o nein … nein … nein!« Ihre Stimme, anfangs noch klar und fest, verlor sich in einem einzigen Schrei.
    Roger legte seine Last auf den Boden und lief ihr entgegen, und ich mit ihm. Als wir ihre ausgestreckten Hände faßten, entglitt sie unserem Griff und fiel hin, und anstatt ihren Umhang in den Händen zu halten, kroch ich zwischen Strohballen herum, die an einer Wellblechhütte nahe der Straße zum Treesmill-Hof aufgestapelt waren.

14
    Ich lag und wartete, daß Schwindel und Übelkeit aufhörten. Ich wußte, daß ich es durchstehen mußte, und je ruhiger ich mich verhielt, desto rascher wäre es vorbei. Es wurde schon hell, und ich war wach genug, um nach meiner Uhr zu sehen. Wenn ich mir eine Viertelstunde Zeit ließ, ohne mich zu rühren, mußte alles gutgehen. Selbst wenn die Leute auf dem Treesmill-Hof schon aufgestanden waren, würde vermutlich niemand über die Straße zu diesem Schuppen kommen, der dicht an der Mauer eines alten Obstgartens im Tal stand; der Bach wenige Meter weiter war der letzte Überrest der einst von den Gezeiten bestimmten Flußmündung.
    Mein Herz klopfte schwer, beruhigte sich jedoch allmählich, und der gefürchtete Schwindelanfall verlief glimpflicher als damals am Steinbruch bei meiner Begegnung mit dem Arzt.
    Fünf, zehn, fünfzehn Minuten … Ich stand etwas unsicher auf, verließ den Garten und ging ganz langsam den Hang hinauf. Bis jetzt war alles in Ordnung. Ich stieg in den Wagen und blieb noch fünf Minuten lang sitzen, dann ließ ich den Motor an und fuhr vorsichtig nach Kilmarth zurück. Mir blieb reichlich Zeit, den Wagen in die Garage zu bringen und das Fläschchen im Labor einzuschließen; danach war es wohl am gescheitesten, sofort ins Bett zu gehen und noch ein bißchen auszuruhen.
    Ich sagte mir, daß ich nichts mehr hatte tun können. Roger würde Isolda nach Tregest zurückbringen, und die Leiche des armen Bodrugan war bei den Mönchen gut aufgehoben. Irgend jemand mußte Joanna in Bockenod benachrichtigen; Roger würde gewiß dafür sorgen. Ich empfand jetzt Achtung, ja sogar Zuneigung für ihn. Bodrugans grausamer Tod rührte ihn offensichtlich, und wir hatten dieses Grauen gemeinsam erlebt. Jene böse Ahnung, die mich am Strand unterhalb von Chapel Point beschlichen hatte, bevor ich mit Vita und den Jungen zurücksegelte, hatte sich also bestätigt.
    Ich fuhr gerade in die Garage, als ich an Vita und die Kinder dachte, und mit der Erinnerung kam das volle Bewußtsein. Ich war in der Gegenwart heimgefahren, während mein Gehirn noch in der anderen Welt weilte. Ich war heimgefahren, wußte, daß ich das Steuer in den Händen hielt und der Gegenwart angehörte, aber mein übriges Wesen war noch der Vergangenheit verhaftet und glaubte, daß Roger eben gerade mit Isolda nach Tregest ritt.
    Der Schweiß brach mir aus allen Poren. Ich saß still und mit zitternden Händen im Wagen. Das durfte nicht noch einmal passieren. Ich mußte mich in Gewalt bekommen. Es war sechs Uhr früh, Vita, die Jungen und unsere leidigen Gäste lagen oben im Bett und

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