Ein Tropfen Zeit
John. Ihr zeigt Umsicht.«
Zum Teufel mit deiner Umsicht, dachte ich, und Roger dachte, seinem Gesicht nach zu urteilen, dasselbe.
Der Wagen wurde vorgefahren, und wir geleiteten die Witwe durch den brausenden Sturm in den Hof, während Sir John sein Pferd bestieg. Dann kehrten wir noch einmal in die Halle zurück. Der Mönch breitete Decken über den halb bewußtlosen Henry.
»Sie warten draußen«, sagte Roger. »Wir können den Strohsack gemeinsam tragen. Aber jetzt, da wir allein sind – was hälst du von seiner Aussicht auf Heilung?«
Der Mönch zuckte die Achseln. »Wie du selbst sagtest, er ist jung und stark, aber ich habe erlebt, daß Schwächlinge durchkamen und kräftige Männer starben. Laß ihn in meiner Pflege in der Priorei, und ich werde es mit bestimmten Arzneien versuchen.«
»Aber diesmal paß auf, was du tust«, mahnte Roger. »Wenn es dir nicht gelingt, mußt du dich vor seinem Vater verantworten, und dann kann nicht einmal der Prior dich schützen.«
Der Mönch lächelte. »Nach allem, was ich höre, wird Sir Otto es schwer genug haben, sich selber zu schützen«, erwiderte er. »Weißt du, daß Sir Oliver Carminowe letzte Nacht in Bockenod lag und heute bei Tagesanbruch fortgeritten ist, ohne den Dienern zu sagen, wohin? Wenn er heimlich an der Küste entlanggeritten ist, so hat er nur ein Ziel: den Liebhaber seiner Gemahlin umzubringen.«
»Das soll er nur versuchen«, spottete Roger. »Bodrugan ist der bessere Fechter.«
Wieder zuckte der Mönch die Achseln. »Möglich, aber Oliver Carminowe benutzte andere Methoden, als er seine Feinde in Schottland bekämpfte. Wenn Bodrugan in einen Hinterhalt gerät, steht es schlecht für ihn.«
Der Verwalter bedeutete ihm zu schweigen, da der junge Henry die Augen öffnete. »Wo ist mein Vater?« fragte er. »Wohin bringt ihr mich?«
»Euer Vater ist zu Hause, Sir«, sagte Roger. »Wir lassen ihn holen. Er wird morgen zu Euch kommen. Diese Nacht werdet Ihr in der Obhut Bruder Jeans in der Priorei schlafen. Und dann, wenn Ihr Euch kräftiger fühlt und Euer Vater es so will, könnt Ihr entweder nach Bodrugan oder nach Trelawn gebracht werden.«
Der Junge blickte verwirrt von einem zum anderen. »Ich möchte nicht in der Priorei bleiben«, sagte er. »Ich möchte lieber heute noch nach Hause.«
»Das ist nicht möglich, Sir«, erwiderte Roger sanft. »Es geht ein mächtiger Sturm, und die Pferde kommen nicht weit. Meine Herrin erwartet Euch in ihrem Wagen und bringt Euch in die Priorei. In einer halben Stunde seid Ihr im Gästezimmer wohlgeborgen im Bett.«
Sie trugen ihn, während er noch schwach protestierte, auf dem Strohsack hinaus zum Wagen und streckten ihn der Länge nach zu Füßen seiner Tante aus. Der Mönch stieg neben ihm ein. Joanna sah durch das offene Fenster ihren Verwalter an. Der Schleier war ihr vom Gesicht geglitten, und ich bemerkte, daß ihre Züge, seit ich sie das letzte Mal gesehen hatte, noch gröber geworden waren. Ihr Mund schien erschlafft, und unter den vorstehenden Augen bildeten sich Tränensäcke.
Sie lehnte sich dicht ans Fenster, so daß ihr Neffe sie nicht hören konnte. »Es heißt, daß es zwischen Sir Oliver und meinem Bruder Streit geben wird«, sagte sie leise. »Ob Sir Oliver in der Nähe ist, weiß ich nicht. Aber aus diesem Grunde möchte ich fort, und zwar rasch.«
»Wie Ihr wünscht, Mylady«, antwortete der Verwalter.
»Weder Sir John noch ich wünschen uns an diesem Streit zu beteiligen. Es ist nicht unsere Sache. Wenn sie handgemein werden, so weiß mein Bruder sich schon zu wehren. Ich aber gebiete dir in aller Strenge, zu keinem zu halten, sondern dich einzig mit meinen Angelegenheiten zu befassen. Hast du verstanden?«
»Sehr wohl, Mylady.«
Sie nickte kurz, dann wandte sie sich dem jungen Henry zu, der zu ihren Füßen lag. Roger gab dem Kutscher ein Zeichen, und das schwere Gefährt fuhr den schlammigen Weg zur Priorei hinauf, gefolgt von Sir John zu Pferde und einem Knecht. Beide Reiter beugten sich, von Wind und Regen gepeitscht, tief im Sattel. Als sie den höchsten Punkt des Hügels erreicht hatten und dann außer Sicht kamen, ging Roger durch den Torbogen in den Hof und rief nach Robbie. Sein Bruder kam sofort heraus und führte ein Pony am Zügel; das wirre Haar hing ihm ins Gesicht.
»Reite wie der Teufel nach Tregest«, sagte Roger, »und mahne Lady Isolda, im Hause zu bleiben. Bodrugan sollte heute abend mit dem Schiff herüberkommen, aber in diesem Sturm wird er sich nicht
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