Ein tüchtiges Mädchen
Helge.“
Behutsam löste er seine Hand aus der ihren und ergriff sein Glas.
„Prost, kleine Gerd!“
„Prost, großer Helge!“
Es war so still um sie herum. Im Seitenzimmer ein schwaches Gemurmel von ein paar anderen Gästen. Ein Klirren hinter einer Luke. Und durch das offene Fenster hörte man das leise Plätschern der Alster in der Herbstnacht.
5
Gerd wurde mit Verbeugungen aus der großen Mahagonitür hinauskomplimentiert und lief auf leichten Füßen die Marmortreppe hinunter. Sie war so strahlend froh. Die Verhandlung mit dem Bürochef von J. F. Busch war ausgezeichnet verlaufen, alles Wesentliche war besprochen worden, sie hatte vernünftige Abmachungen und gute Nachrichten für Myrseth. Jetzt waren ihre Pflichten erledigt, und sie hatte noch eineinhalb Tage in Hamburg, in denen sie Privatmensch und Tourist sein und tun konnte, was sie wollte.
Und was Helge wollte.
Sie sah ihn sofort, als sie in die strahlende Herbstsonne auf den Gehsteig trat.
„Ja, Helge, da bist du ja!“
„Natürlich bin ich da. Na, ist es gut abgelaufen?“
„Fein. Mein Chef wird sich freuen.“
„Hast du sonst noch etwas für ihn zu tun?“
„Nichts mehr, jetzt bin ich frank und frei.“
„Großartig! Also, was tun wir jetzt?“
„Du wolltest doch eine Handtasche für deine Mutter kaufen?“
„Richtig! Vorausgesetzt, du bist so nett und hilfst mir dabei.“
„Schrecklich gern. Aber dazu muß ich etwas über deine Mutter wissen. Ist sie alt und ehrwürdig und schwarz gekleidet, oder ist sie jugendlich und farbenfroh, oder…“
„Sie ist 56 Jahre alt, sieht aber aus wie Anfang Vierzig. Eine Leistung, muß man schon sagen, wenn man bedenkt, was sie alles durchgemacht hat.“
„Ach, die Ärmste! Wieso?“
„Nun, sie war jung verheiratet, als der Krieg ausbrach. Mein Vater war Kapitän auf einem Tanker und wurde torpediert. Ich war ein Jahr alt, als er ums Leben kam. Dann mußte Muttchen sich eben allein durchschlagen.“
„Und was sagte deine Mutter dazu, daß du auch den Seemannsberuf wähltest?“
„Nicht viel. Sie verstand wohl, daß es mir im Blut lag. Ich könnte mir keinen anderen Beruf denken.“
„Und jetzt hast du es also bis zum ,Ersten Offizier’ gebracht?“
„Hab’ ich. Und meine Mutter freut sich. Also, sie sieht jung und fesch aus, und wir dürfen ihr auf keinen Fall eine biedere schwarze Tasche aussuchen. Sie wird sich viel mehr über ein gewagtes Modell in frechen Farben freuen!“
„Wir werden die gewagteste Tasche von ganz Hamburg auftreiben.“
„Das soll ein Wort sein!“
Dann standen sie in dem großen Lederwarengeschäft. Sie suchten und wählten unter den „gewagten“ Modellen, bis sie sich zum Schluß für ein wahres Wunder in weichem hellbraunem Leder entschieden, von dem die Verkäuferin versicherte, dies sei der allerletzte Schrei.
„Ich brauche übrigens noch eine Tasche“, sagte Helge, „in Dunkelblau.“
Gerd sah ihn fragend an.
„Ja, ich habe versprochen, eine für eine – eine Bekannte von mir zu besorgen.“
Diesmal bat er Gerd nicht um Hilfe beim Aussuchen. Er half ihr aber bei der Wahl, als sie eine neue und sehr elegante Aktenmappe erstand.
„Das Kriterium deiner neuen Würde“, lächelte er, als Gerd ihre Papiere in die neue Mappe legte und die alte samt den gekauften Handtaschen ins Hotel schicken ließ.
Und Gerd lächelte, als die Verkäuferin sie zur Tür begleitete, sie öffnete und „Auf Wiedersehen, gnädige Frau“ sagte.
„Wie schmeckt dir das, als ,gnädige Frau’ angeredet zu werden?“ fragte Helge.
„Kommt mir komisch vor“, sagte Gerd. „Aber ich nehme an, wenn man eine teure Aktenmappe kauft, avanciert man automatisch und wird ,gnädig’.“
„Nun, es ist eben die gewöhnliche Anredeform hier. Es bedeutet keine Spur mehr, als wenn man daheim einfach Frau sagt.“
„Sehe ich denn aus wie eine würdige Frau?“
„Nee, wie ein Schulmädchen, das die Turnstunde geschwänzt hat, um in der Konditorei naschen zu gehen. Übrigens Konditorei? Bist du nicht hungrig?“
„Ja, aber ich habe noch keine Lust zum Essen. Können wir vorher nicht noch ein bißchen Schaufenster besehen?“
„Klar, können wir.“
Es blieb nicht bloß beim Anschauen. Gerd hätte keine Frau sein müssen, um nicht angesichts einiger verlockender Sachen schwach zu werden. Dann mußte Helge sich jetzt für ihre Hilfe revanchieren und ihr beistehen, als sie Handschuhe für die Mutter und ein Halstuch für Solveig kaufte.
Helge fragte
Weitere Kostenlose Bücher