Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein tüchtiges Mädchen

Ein tüchtiges Mädchen

Titel: Ein tüchtiges Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
Vom Netzwerk:
es dann aber. Sein Tonfall war so – so anders gewesen. Etwas wie Bitterkeit schwang in den wenigen Worten mit. Gewaltsam schien er dann etwas abzuschütteln, aber sein Lächeln war nicht natürlich, sondern wirkte wie angestrengt hervorgeholt und dem Gesicht aufgepflanzt.
    „Nun, kleiner Bürochef, dann also los!“
    Lärm und Lichtreklamen schlugen ihnen draußen entgegen, der Pulsschlag der Millionenstadt umwogte sie mit Tuten, Summen und Knattern. Helge ließ Gerds Arm nicht los. Sicher lotste er sie über verkehrsreiche Straßenkreuzungen und um gefahrenreiche Ecken. Sie gingen über den Rathausplatz, und bald darauf waren sie in einer breiten, belebten Straße mit hohen Geschäftshäusern und strahlenden Schaufenstern auf der einen und blankem Wasser auf der anderen Seite.
    „Der Jungfernstieg!“ rief Gerd, „und die Alster! Hier kenne ich mich wieder aus.“
    Der Herbstabend war still und warm. Hier war es viel wärmer als daheim. Gerd mußte ihre Kostümjacke aufknöpfen.
    Es war schwierig, an all den Schaufenstern vorbeizukommen. Hier fand man alles, absolut alles, was ein Frauenherz begehrt, von den duftigsten Wäschestücken bis zu eleganten Schuhen, vom Pelzwerk bis zur Chinaseide, ganz zu schweigen von Hüten und Handschuhen, Modellkleidern und Lederwaren.
    „So was habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen – “, sagte Gerd und blieb vor einem Geschäft mit Lederwaren stehen.
    „Ja, nicht wahr? Wenn Sie übrigens ein nettes Mädchen sein wollen, dann gehen Sie morgen mit mir hierher und helfen mir, eine schöne Handtasche auszusuchen.“
    „Handtasche? Damentasche?“ Gerd warf ihm einen schnellen Blick zu.
    „Ja, für meine Mutter“, fügte er hinzu.
    „Natürlich! Das tue ich mehr als gern!“
    Schließlich mußte er sie mit Gewalt fortziehen durch andere Straßen, hin zu dem kleinen Kino, in dem der Beethoven-Film als Wiederaufführung lief.
    Dann erlebte Gerd zwei unvergleichliche Stunden.
    Sie folgte mit Augen und Ohren der Handlung, vergaß alles um sich herum. Sie biß sich auf die Lippen und merkte, daß ihre Tränen rannen, als sich Beethovens Leben durch seine Taubheit zur Tragödie entwickelte. Ihre Mundwinkel zitterten, so ganz und gar war sie dabei, so erfüllt von dem, was sie sah und hörte,… und dann kam die große, schöne Resignation, als Beethoven die göttliche Absicht seiner Taubheit begriff: Nichts Äußerliches sollte die Ruhe stören, aus dem Tönereichtum zu schaffen, der in ihm wohnte.
    Beethovens Antlitz verklärte ein stilles Leuchten. Er wanderte heim, trat durch den weißgekalkten Torbogen in den stillen viereckigen Hof. Er ging langsam, immer langsamer, und jetzt ertönte das Allegretto aus seiner siebenten Sinfonie durch sein Herz und Hirn, es tönte den Zuschauern entgegen, und Gerd rannen Tränen über die Wangen. Sie suchte noch nach einem Taschentuch, als ihr eines in die Hand gedrückt wurde. Sie trocknete ihre Augen mit der Rechten, während die Linke sicher und warm in einer großen, festen Männerhand lag.
    In den Tönen der neunten Sinfonie fand Beethoven dann endlich den letzten großen Frieden. Sein Gesicht wechselte hinüber in die wohlbekannten Züge der Totenmaske, die bei vielen Musikfreunden von der Wand herabgrüßt. So endete der Film.
    Gerd und Helge sprachen nicht, beeilten sich auch nicht mit dem Hinauskommen, ließen die anderen an sich vorbeigehen.
    Auf der Straße und schon ein gutes Stück von dem Filmtheater entfernt, gab Helge ihrem Arm einen kleinen Druck und sagte dieses eine Wort:
    „Nun?“
    Es klang still-fragend, beinahe zärtlich.
    „Ich habe keine Worte“, flüsterte Gerd.
    „Es war ein Erlebnis, nicht wahr?“
    „Es war die ganze Reise wert.“
    „Was tun wir jetzt, Gerd? Irgendwo ein Plauderstündchen bei einem Glas Wein?“
    „Ja. Aber bitte, tun Sie mir den Gefallen: nur kein großes lärmendes Lokal! Es gibt doch sicher eins, wo wir ganz ruhig sitzen können, ohne Musik und Lärm?“
    „Gewiß. Ich kenne ein kleines Restaurant an der Alster. Es ist nicht fein oder mondän, es ist sogar billig, aber es ist ruhig.“
    „Oh ja, gehen wir dorthin!“
    „Wollen wir ein Taxi nehmen?“
    „Nein, lieber gehen, wenn es nicht allzuweit ist.“
    „Nur etwa eine Viertelstunde.“
    Unter hohen Kastanienbäumen schritten sie an der Alster entlang. Der Großstadtlärm klang hier so fern, daß sie das Plätschern der kleinen Wellen hören konnten, wenn die Fährboote vorbeiglitten.
    Sie sprachen lange nicht.

Weitere Kostenlose Bücher