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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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Die Fotos zeigten vorwiegend drei Kinder im Verlauf von ungefähr sechs Jahren vor dem Hintergrund eines Gartens, eines dreistöckigen Hauses und der Küste. Ihre Namen waren Sarah, Lily
und Harry, in dieser Reihenfolge. Manchmal waren auch Erwachsene auf den Fotos zu sehen, die wegen einer Taufe oder eines anderen Anlasses gehemmt zusammenstanden, doch meistens waren es nur die Kinder, die all das Übliche machten und dabei glücklich aussahen: auf einer Schaukel, mit einem neuen Spielzeug in der Hand, einen Hund oder eine Katze oder einen Hasen streichelnd, vom Baden kommend, unter einem Rasensprenger tanzend, im Kopfstand, verkleidet, auf einem Fahrrad oder Dreirad usw. Alle Fotos waren leicht unscharf und etwas schief, als wären sie spontan und mit einer schlechten Kamera aufgenommen worden. Die verschwommensten waren die von Sarah allein. Sie hatte immer den Kopf zur Seite gedreht und kniff die Augen zusammen oder runzelte die Stirn, als würde sie in die Sonne schauen.
    (Beim Durchblättern des Albums fiel mir ein, daß ich keine Fotos meiner eigenen heranwachsenden Kinder hatte, und ich fragte mich, warum – ich meine, es wurden natürlich Fotos geschossen, aber ich habe keine Ahnung, was aus ihnen geworden ist, und auch keine Erinnerung an die Kamera, mit der sie aufgenommen wurden. Also schaute ich mir neidisch diese verwackelten Schwarzweißschnappschüsse an, jeder ordentlich in weißer Tinte mit den Namen und einem Datum beschriftet. Und doch auch wieder nicht, denn je mehr ich mich mit der Vergangenheit beschäftigte, desto weniger Zeit brachte ich mit anderen Dingen zu und trat noch mehr meiner eh schon erbärmlichen Herrschaft über mein Leben an das Verstreichen der Zeit ab, an eine Inkontinenz der Phantasie, dieses ewige, endlose Getröpfel, und es gibt keine Prostataoperation, die in dem Fall Abhilfe schaffen würde.)
    Von Nanny Phipps selbst gab es nur ein einziges Foto. Sie trug ein schwarzes Kleid, vielleicht sogar das im Koffer. Darunter stand: »Sarah, Lily und Harry. 7. Mai. Mit freundlichen Grüßen. Blumenpflücken!!!« Sie stand mit dem Rücken an einem großen, knorrigen Baum und hatte einen großen Strauß in der Hand, der aussah wie Unkraut. Die beiden Mädchen saßen mit übergeschlagenen Beinen und einem breiten, gekünstelten Lächeln zu ihren Füßen, und jedes hielt einen langen Stengel in der Hand, mit dem sie sich in den Nasenlöchern zu kitzeln schienen. Harry stand etwas
abseits, machte ein wütendes Gesicht zur Kamera und warf etwas in ihre Richtung, was um Nanny Phipps’ Mitte herum eine kleine Wolke erzeugte. Es war jedoch ihr Gesicht, das meine Aufmerksamkeit fesselte: beleidigt und streng, als hätte die Person hinter der Kamera hier nichts zu suchen, sondern sei nur ein Störenfried bei einem Ausflug in die Natur. Ich legte das Fotoalbum zusammen mit den anderen Sachen wieder in den Koffer zurück, behielt aber die Bibel und das Gebetbuch. Sie waren in schwarzes Leder gebunden, das den Goldschnitt der Seiten ein Stückchen überragte. Auf die Vorsatzblätter hatte sie mit großer, schwungvoller Handschrift »Beatrice Phipps« geschrieben, aber kein Datum. Es waren wunderschöne, schwere Dinger, und ich stellte sie in mein Bücherregal, wo sie neben den Taschenbuchkrimis usw. ziemlich tadelnd wirkten. Sie stehen noch immer dort. Wobei das nicht heißt, daß ich sie gestohlen hätte. Als ich den Koffer wieder in den Schrank zurückstellte, vergaß ich einfach, die Bücher mit hineinzulegen, das ist alles. Hin und wieder blättere ich in ihnen, vor allem in dem Gebetbuch, und versuche, den Trost usw. zu finden, den Nanny Phipps dort gesucht hatte. Einige erstaunliche Formulierungen sind dort zu entdecken, schlicht, aber doch mit einer gewissen Größe. Soweit ich weiß, schreibt man heutzutage nicht mehr so, und falls doch, würden die Leute wohl denken, man trage ein bißchen dick auf. Vielleicht gibt es einfach diese Art von Selbstbewußtsein nicht mehr.
     
    Mitte April ist es jetzt, und meine Tochter war eben bei mir zu Besuch, sogar über Nacht, nachdem ihr Verlobter, der in Ipswich zu tun hatte, sie bei mir abgesetzt hatte. Sie war schon immer mehr das Kind ihrer Mutter gewesen als meins, das sage ich ohne Groll, und mein Sohn ebenfalls. Das bedeutet, wieder in Kürze, daß sie tatsächlich eine Erziehung genossen haben und nicht nur ungeleitet durch die Jugend ins Erwachsensein geschlendert sind, wie es passiert wäre, wenn ich in dieser Sache mehr Nicht-Einfluß

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