Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
gehabt hätte. Auch jetzt habe ich noch keine wirkliche Meinung über Kindererziehung (außer daß man versuchen sollte, in vernünftiger Distanz mit ihnen mitzuhalten: eine lange Leine, aber
eine schlaffe, wenn Sie wissen, was ich meine), aber mit Sicherheit will ich nicht, daß jemand sein ganzes Leben lang meinen Stempel trägt. (Meine Frau hat da sehr eindeutige Ansichten, aber sie hat ja auch eine Menge Bücher zu dem Thema gelesen, und Wissen gibt einem das Recht, etwas besser zu wissen als Leute ohne, nehme ich mal an. Denn wozu wäre das Wissen sonst gut? Nur zur Erinnerung: Mein Spezialgebiet waren Handelsstatistiken und Überseemärkte etc., und das bringt Kindern verdammt wenig, außer man will sie überreden, schon jetzt zu sparen, damit man eines schönen Tages aus dem verregneten Trott unserer Breiten in fremde Länder fliehen kann.) Keinen Stempel, sollte ich hinzufügen, außer dem, geliebt worden zu sein, auch wenn das mit viel Enttäuschtwerden einherging. Das ist wohl kaum eine Meinung, nur ein Indiz für die Liebe, indem man manchmal darüber nachgedacht hat, nicht über die Liebe selbst, sondern über das, was sie von anderen zu Recht erwarten darf. Wie auch immer, ich möchte diese Geschichte nicht noch einmal aufwärmen, außer um zu skizzieren, warum meine Tochter weder besonders für noch besonders gegen mich war. In dieser Hinsicht sind Fleisch und Blut nicht so ausnehmend wichtig, zumindest nicht meiner Erfahrung nach. Daß sie mich besuchen kam, war anständig von ihr, auch wenn sie es erst tat, als es für sie und ihren Verlobten paßte. Was den Rest angeht, muß ich Sie auf das verweisen, was ich an anderer Stelle geschrieben habe.
Ich hatte sie seit ungefähr achtzehn Monaten nicht mehr gesehen. Sie machte ihre Logopädenausbildung an der City of Birmingham Polytechnic und dann ihren Magister in Sprechwissenschaft in Leeds. Wenn sie nach London kam, hatte sie nur Zeit, ihre Mutter zu besuchen, oder ich war gerade auf einer meiner Auslandsreisen, und, egal, was ich früher geschrieben habe, um mich selber moralisch aufzubauen, sie hatte keine Zeit für die Frau, mit der ich mich einließ, als meine Gattin mich verlassen hatte. (Diejenige, wissen Sie noch, die jetzt mit Sicherheit aktiv in der City of London mitmischt, um sich ihren Anteil am großen Kuchen zu sichern.) Wie auch immer, sie rief mich ab und zu an, natürlich
als R-Gespräch, wenn sie wieder einmal Geld von mir wollte ... das war jetzt sehr gemein. Es wäre mir lieber, ich hätte das nicht geschrieben, aber ich habe mich eben an eine Recherche erinnert, die ich einmal anstellte über die enge Verbindung zwischen ungewöhnlich hohen Fremdeinträgen in meiner Telefonrechnung und Überziehungsvermerken auf meinem Kontoauszug. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich hatte nichts dagegen. Je höher die Rechnung, desto mehr hatten wir uns unterhalten, und was man seinen Kindern schuldig ist, hat keine Grenze, wenn man ihnen letztendlich nichts anderes geben kann als Geld. Daß sie mir gegenüber Dankbarkeit empfand, war für mich sehr viel besser, als wenn sie gar nichts empfunden hätte. Ich gab ihr deshalb immer mehr, als sie sich erbat, und so glaubte sie wahrscheinlich, ich sei leicht herumzukriegen. Und das ist auch ganz okay, zumindest in diesem Bereich.
Der andere Gedanke, der mir durch den Kopf ging, als sie über die Autobahn in meine Richtung brausten (abgesehen vom Kopfzerbrechen wegen Sicherheitsgurten usw.), war der, daß Kinder immer weniger an einen denken (von einem halten), als man selber an sie denkt (von ihnen hält). Und warum auch nicht, werden sie doch zu einem immer größeren Teil der eigenen Vergangenheit, je weniger Zukunft man selber hat, und man selber wird zu einem immer kleineren Teil ihrer Zukunft, die wiederum zu ihrer Vergangenheit wird, während zu diesem Prozeß ständig andere hinzukommen, die einen selber zunehmend hinausdrängen. Und wenn ich gerade dabei bin, könnte ich auch diese beiden Klammern wieder entfernen, denn was mich angeht, war mein Leben nicht gerade mit Großtaten übersät (wodurch ich allerdings mein Teil dazu beigetragen haben dürfte, Großbritannien sauberzuhalten). Liebe wird nicht durch Meinung beeinflußt, aber eine Meinung kann durch Liebe sinnlos gemacht werden.
Das Haus sah recht hübsch aus, oder zumindest ordentlich — die etwa fünfzig Taschenbücher in einer Reihe zwischen der Bibel und dem Gebetbuch auf dem Regal, ein paar zusätzliche Bemühungen
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