Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
brauchte denn der alte Trottel das alles, wenn wir es damals hätten brauchen können und jetzt nicht mehr. Da können wir uns jetzt ruhig den Kirschholzsarg mit den Goldbeschlägen leisten. Der hatte ja immer genug Geld zum Verpulvern ...«
Virginia stellte ihre Tasse ab und ging zum Fenster, während Richard sich darüber ausließ, daß er sich irgendwann selbständig machen wolle. Das Sonnenlicht rahmte sie ein, und sie starrte hinaus auf die ebene Landschaft, über die Wolkenschatten hinwegzogen, als würden wir auf einem flachen Meer treiben. Er schaute wehmütig zu ihr hinüber, als würde sie ihm gleich entrissen werden.
Er ging zu ihr, als sie, noch immer zum Fenster gewandt, sagte: »Ich will nicht, daß du so redest, Dad, daß du mich so an dein Sterben erinnerst, noch dazu kurz bevor wir losmüssen, weil das ist es dann, was mir in Erinnerung bleibt.«
Er legte ihr den Arm um die Schultern und sagte: »Also, ein schönes Plätzchen haben Sie sich hier ausgesucht, Mr. Ripple. Allerdings ein bißchen windig im Winter, kann ich mir vorstellen.« Er drehte sich um. »Aber wir müssen jetzt wirklich los, wenn wir rechtzeitig in Norwich ...«
Es war ein zeitloser Augenblick, wie die beiden so nebeneinanderstanden und so schnell wie möglich allein sein wollten. Virginia kam zu mir und küßte mich, und ich drückte sie, zu kurz.
»Na, dann macht euch auf die Socken«, sagte ich forsch.
Richard trat einen Schritt vor wie ein Freiwilliger und sagte: »Noch einmal, vielen Dank, Mr. Ripple, wir wissen das wirklich zu schätzen.« Dann ging er hinaus in die Diele, nahm Virginias Tasche und marschierte allein den Gartenpfad hinunter.
»Ein wirklich prächtiger Kerl, würde ich sagen ...«, setzte ich an.
Aber in diesem Augenblick waren ihre Gedanken offensichtlich ganz woanders. Das nervige Gutmenschentum ihrer frühen Jugend war einer Melancholie gewichen, die ich an ihr noch nie bemerkt hatte: vor sich ein Leben, in dem sie Menschen helfen will, für sich selber zu sprechen, wo doch diejenigen, die es bereits können, eine Gabe besitzen, die sie ständig mißbrauchen – so etwas in der Richtung.
»Ach, wenn ihr euch nur nicht getrennt hättet, Mum und du«, sagte sie leise.
»Na, damit brauchen wir jetzt wohl nicht mehr anzufangen, oder? Wenigstens ging’s nicht im Bösen auseinander.«
»Ich meine, du bist doch ganz allein hier draußen.«
»Ach, das.«
Ich schaute zum Himmel hoch, der jetzt ein klares Blau zeigte, die Milchigkeit fiel von ihm ab und schien sich auf die Bäume zu legen, um sie zum Knospen zu bringen.
»Na ja, wenn’s mir nicht mehr gefällt, kann ich ja wieder nach London ziehen. Wobei die Hausanzahlungen dort mörderisch sind. Kannst du mir ein paar Tau leihen?«
Sie kicherte, und während wir Arm in Arm den Gartenpfad hinuntergingen, war alles in Ordnung. Richard saß hinter dem Steuer, der Motor lief bereits. Ich zog mein Taschentuch heraus, befeuchtete eine Ecke und rieb kräftig an einem imaginären Fleck über seinem Scheibenwischer. Virginia stieg ein und schnallte sich an. Ich hielt mein Gesicht dicht vor die Windschutzscheibe, und als er sein Seitenfenster herunterkurbelte, grinste ich und streckte die Hand durch die Öffnung, die Handfläche geöffnet, als würde ich ein Trinkgeld erwarten. Er legte ein Fünf-Pence-Stück hinein, und ich zupfte an einer Locke meiner Haare. Dann fuhr das Auto langsam davon, und ihre Hände flatterten links und rechts darüber
wie zerfetzte Wimpel. Ich winkte, bis sie außer Sicht waren, die Hand hoch über dem Kopf. Na ja, dachte ich, wenn du nicht alles haben kannst, mußt du damit zufrieden sein. Das sage ich zumindest jetzt. Doch als ich damals zum Haus zurückging, war es nicht nur die Einsamkeit, sondern auch das Gefühl, um 1500 Pfund ärmer zu sein, und zugleich die Frage, warum ich nicht viel mehr gegeben hatte, Liebe und Eigenliebe in diesem Augenblick in einem unentwirrbaren Durcheinander. Und plötzlich war überhaupt gar nichts mehr in Ordnung: meine Tochter, die wieder von mir wegfuhr, die Sachen, die ich nicht gesagt hatte und von denen ich nicht wußte, wie ich sie sagen sollte, und es auch nie wissen würde.
Vielleicht sollte man es dabei belassen. Viel anderes ist seitdem passiert, aber man erinnert sich an Sachen gleichzeitig und bringt sie jedesmal auf eine andere Art zum Abschluß, als würde man sich fragen: Wenn dieser Augenblick jetzt mein letzter wäre, wie würde ich ihn gern beenden? Meiner Tochter zum
Weitere Kostenlose Bücher