Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Ihnen sagen. Ist das alles? Ich habe ein paar schöne, saftige Koteletts hereinbekommen.«
Ich dankte ihr noch einmal und ging. Inzwischen habe ich Nanny Phipps getroffen. Maureen war bei mir. Keine besonders erbauliche Begegnung, doch davon später. Ich mußte meine Neugier befriedigen, das war alles, zumindest mehr oder weniger. Es war etwas, das die Ladenbesitzerin gesagt hatte, und dann waren da noch die Fotos. Es gibt kein Foto von meinem Leben. Wenn es eins gegeben hätte, hätte ich mir dann gedacht: Um so schlimmer? Muß jetzt weitermachen. Maureen. Das wird schwierig. Davor graut mir schon eine ganze Weile.
KAPITEL VIER
I ch antwortete auf ihren Brief, nur um ihr zu sagen, wir sollten uns mal treffen, wir sollten einen Versuch wagen, und wenn Sie mich fragen, die mit dem Fahrrad ist mir eindeutig lieber. Ich schlug als Treffpunkt die Treppe der Nationalgalerie vor und ein Datum und eine Uhrzeit, Bestätigung unnötig, ich sei sowieso in der Gegend, was nicht stimmte. Ich schrieb ihr, sie werde keine Schwierigkeiten haben, mich zu erkennen, müsse nur nach einem ungemein distinguierten Herrn Ausschau halten, der sich den Bart abrasiert hat und eine rote Nelke im Knopfloch trägt. Falls es Abneigung auf den ersten Blick sein sollte, dachte ich, könnten wir uns ja die Bilder anschauen, von Zeit zu Zeit unverbindlich »Was für ein großartiges Gemälde« murmeln und dann unserer Wege gehen.
Ich habe mir die Notizen angeschaut, die ich zu der Zeit schrieb, und kann jetzt schon erkennen, daß es ein Problem geben wird. In fünf Minuten kommt eine gute Sendung im Fernsehen, gerade noch Zeit genug, um in bequemere Schuhe zu schlüpfen und mir einen Drink einzugießen. Also kehre ich jetzt, an einem gräßlichen Vormittag, da es draußen wie aus Kübeln gießt und die Wolken so tief hängen, daß die weiter entfernten Bäume unter einem grauen Meer zu verkümmern scheinen, zu den Notizen zurück. Das Problem ist, wie schaffe ich es, im Lichte — oder im Schatten — des danach Geschehenen, das Anfangsgeschehen nicht zu verändern, es nicht so zu strukturieren, daß ich mich im Nachhinein klüger fühlen kann und, je mehr ich schreibe, immer mehr Befriedigung aus der reinen Komposition beziehe, de facto eine Fiktion daraus mache, so daß Sie es kaum bemerken würden, wenn
es einen Wechsel von der ersten zur dritten Person geben würde? Zu dem Zeitpunkt ist dann schon alles möglich, man muß sich keine Gedanken mehr machen um das Echte und Wahre, ein Garn wird gesponnen, und alles nur, damit das fertige Tuch zu etwas geschneidert werden kann, das nichts mehr zu tun hat mit dem verfilzten und abgerissenen und verdreckten Kleidungsstück, das man zu der Zeit getragen und an dem man nervös herumgezupft hat. Später. Der Regen ist höchstens noch schlimmer geworden. Heute keine Fahrt zum Meer. Das Dach ist undicht, und ich habe einen Eimer auf den Treppenabsatz gestellt, um die Tropfen aufzufangen. Ich habe keinen Whisky und keine Zigarillos mehr. Es war keine angenehme Nacht: die Sturmgeräusche, Blase, Anus, Sodbrennen, nichts Ernstes — ganz im Gegensatz zur Zentralheizung, ist da eigentlich noch Garantie drauf? Nachprüfen. Erzählen, wie es ist. Erzählen, wie es war?
Ich hatte mir einige Sätze überlegt, mit denen ich das Eis brechen wollte: »Daß ich Sie hier treffe!« »Sollen wir da reingehen oder lieber zu den bewegten Bildern?« »Wenn Sie meinen Anblick nicht ertragen können, wie wär’s dann mit einem Blind Date?« Oder, mit gebieterischer Geste über den Trafalgar Square: »Entschuldigen Sie das Chaos, aber die Schlacht gegen den Verkehr kann nicht mal Nelson gewinnen.«
Als es dann soweit war, benutzte ich keinen dieser Sprüche. Ich ging früh hin, um mir einen Aussichtspunkt zu suchen, von wo ich Ausschau halten konnte nach jemandem, der nach mir Ausschau hielt, und die rote Nelke hatte ich nicht im Knopfloch, weil ich ein Sakko trug, das sich als knopflochlos herausstellte. Am Fuß der Treppe saß eine blendend, aber einsam aussehende Frau mit blonden Haaren, die das Gesicht der Sonne zugedreht, aber die Augen geschlossen hatte und offensichtlich auf nichts wartete. Wo immer ich stehenblieb, war ich entweder zu nah dran oder zu weit weg, zu deutlich oder gar nicht sichtbar, und so schlenderte ich, während die Minuten verstrichen, mit zielgerichteter Miene herum, ging die Straße auf und ab, schaute auf die Uhr, stellte mich in die Schlange an der Bushaltestelle, studierte eine
der
Weitere Kostenlose Bücher