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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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ihm baumelte. »Kommen Sie hier durch«, sagte er laut. »Die Jungs schauen fern, sonst nichts. Die Wunder des kapitalistischen Westens. Wenn sie nicht gerade das Geschirr waschen.«
    Ich folgte ihm, vorbei an einer geschlossenen Tür und dann in ein kleines Zimmer, dessen Wände mit gerahmten Fotografien und verschiedenen militärischen Abzeichen und Auszeichnungen bedeckt waren. Unter dem Fenster mir direkt gegenüber stand ein Schreibtisch, auf den setzte er sich und deutete dann auf den einzigen Lehnsessel im Zimmer, bezogen mit einem ehemals dunkelbraunen, jetzt aber altersgrauen Material.
    »Wenn Sie dort sitzen, sind Sie bald bereit für einen Wodka«, sagte er fröhlich. »Wenn ich Ihnen keinen Wodka anbiete, denken Sie noch, ich bin überhaupt kein richtiger Pole.«
    Er griff hinter sich nach einer Flasche und zwei kleinen Gläsern, die er bis zum Rand füllte. Eins gab er mir, und aus dem anderen nahm er fast sofort einen großen Zug.

    »Aber ist denn das nicht auch typisch russisch?« murmelte ich, was ziemlich blöd war, aber irgend etwas mußte ich sagen.
    »Eines Tages erkläre ich Ihnen den Unterschied. Je mehr sie trinken und Ihnen sagen, wie sehr sie Sie und die ganze Menschheit lieben, desto weniger sollten Sie ihnen vertrauen.«
    »Ich glaube, ich habe noch nie einen richtigen Russen kennengelernt«, sagte ich.
    Er stieß ein langgestrecktes »Aaah« aus und kippte den Rest seines Glases. »Sie haben statt dessen die Amerikaner. Mögen Sie das?«
    »Hm, ja.« Aber ich verstand nicht, worauf er mit der Frage abzielte, und er schien das Interesse an dem Thema zu verlieren. Während wir uns unterhielten, warf ich flüchtige Blicke auf die Fotos an den Wänden. Die meisten zeigten Paare oder Familiengruppen, aber es gab auch zwei oder drei größere Gruppen über dem Schreibtisch, die Flieger zu sein schienen, alle mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Es gab auch einige Fotos von Burgen, großen Häusern und Kirchen. Neben meiner Schulter sah ich einen galoppierenden Reiter und darüber ein Flugzeug, das ich sofort als eine Spitfire erkannte. Daneben war ein großer, mit Blumen und Kerzen bedeckter Grabstein zu sehen. Das größte der Militärwappen zeigte einen Adler mit goldener Krone vor rotem Grund. Ich beugte mich vor, um mir zwei Kameen genauer anzusehen, die Köpfe mit langen Haaren im Profil darstellten. So ziemlich mein einziger Gedanke war, wie wir am besten von diesem unerfreulichen Thema der Amerikaner wieder wegkamen.
    »Im Augenblick starren Sie Chopin und Paderewski an«, sagte er.
    »Ah ja, natürlich.«
    Er deutete mit einer Handbewegung über die Wände. »Wie lachhaft, denken Sie jetzt bestimmt, die großen polnischen Traditionen, die wir in fremden Ländern am Leben erhalten, nur daß das alles schon tot ist.« Er sprach bitter, ohne Stolz. Dann deutete er mit dem Finger auf verschiedene Fotos und ratterte Namen herunter, die mir überhaupt nichts sagten. Er kam zu mir und goß mir nach, obwohl mein Glas noch fast voll war, und dabei kippte er die
Flasche, so daß ich das Glas mit der Hand bedecken mußte. »Der Rest, meine Familie, meine Vorfahren, Orte, wo sie gewohnt haben, Wahrzeichen. Sie können sehen, wie es früher mal war. Erinnerungen an eine einst souveräne Nation. Bilder, aufgehängt, um eine nackte Wand zu verstecken. Ich habe sie kein einziges Mal gestrichen. Wenn ich sie abnehmen würde, würden nur Schatten und Spinnweben zum Vorschein kommen.«
    Er leerte die Flasche in sein Glas und ging eine zweite holen. Ich schaute zu der Wand hinter mir. Unter der Decke hing ein Regal voller Bücher, und die Fotos darunter zeigten alle verwüstete Städte und flache Landschaften, übersät mit zerstörten Maschinen, Waffen, einem Panzer und ausgeweideten Lastern vor zerfetzten und verdrehten Bäumen, wie Kratzer, die man mit einem abgebrochenen Bleistiftstummel macht. Und auf einigen waren auch Menschen zu sehen, gebeugt und ausdruckslos und aus erschöpften Augen in die Kamera starrend.
    »Die da ...«, murmelte ich vage, als er zurückkehrte.
    »Das ist Polen. Das weiß doch jeder über Polen. Hier sehen Sie Warschau, da und da ...« Wieder deutete er mit dem Finger. »Aber das ist inzwischen, wie Sie auf englisch sagen, sehr langweilig.«
    »Ganz und gar nicht«, sagte ich.
    Aber ich wußte nicht, ob das stimmte, ob diese ganzen Fotos und Filmausschnitte das Grauen dessen, was tatsächlich passiert war, wieder zum Leben erwecken konnten. Wir können nur wiederbeleben, was

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