Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
solle. Was sie natürlich nicht tun wird. Die Schätze werden erst später zu entdecken sein, durch Zufall. Zur Zeit des Erlebens besudelt, unbeachtet, überschattet, nicht erinnerungswürdig.
Zwei Tage später rief Virginia an. Bevor sie mir sagte, daß ihr Mann entlassen worden sei und er keinen neuen Job in Aussicht habe, sagte ich ihr, daß ein Scheck für sie unterwegs sei. Es war ein ziemlich hoher Betrag, aber mit Sicherheit nicht mehr, als ich mir gut leisten konnte. Wäre natürlich schön, etwas für Ann zu haben, falls sie es mal brauchte, aber zu der Zeit hätten Virginia und Adrian eh schon alles geerbt. Wie auch immer, das altbekannte Tau-Gefasel würde es bei dieser Gelegenheit nicht geben. Ich sagte ihr, es tue mir leid wegen ihres Mannes, auch wenn er in meinen Augen noch immer ein dreckiger, alter Bock war. Über das Geld sagte sie: »Du solltest das nicht tun, Dad, ehrlich.«
»Wie hättest du es denn gern gewaschen? Falls du es nicht willst, dann gib es dieser Ann, die jetzt bei dir eingezogen ist und nicht mal die verdammte Miete zahlen kann. Diese Schnorrer heutzutage, das spottet jeder Beschreibung. Ach, vergiß es ... Geht es dir gut?«
»O ja. Sie ist ein wundervolles Baby, Dad.«
»Sieht aus wie ich, hat deine Mutter mir gesagt.«
»So schön auch wieder nicht, bei weitem nicht.«
»Nein, natürlich ... Hör zu, Virginia, ich bin ganz aus dem Häuschen vor Begeisterung, das ist alles. Die schlechte Nachricht ist allerdings, ich komme zu euch, um nachzusehen, ob du überhaupt geeignet bist, dich um sie zu kümmern. Wann würd’s denn passen?«
»Immer, Dad, das weißt du doch.«
Wir verabschiedeten uns, und gleich darauf rief ich Jane an. Ich nannte sie Tante und hätte mir gleich darauf am liebsten die Zunge abgebissen. Aber Neid in dieser oder auch jeder anderen Hinsicht lag absolut nicht in ihrem Wesen. An diesem Tag hatte der US-Kongreß Präsident Bush die Erlaubnis erteilt, in den Krieg zu ziehen. Ich erwähnte das kurz, aber sie wollte nicht darüber reden. Ich hätte allerdings schon gern erfahren, was sie dachte. Jeder andere redete ja auch darüber. Ich sagte, was mir am meisten Angst einjagte, sei die gräßliche Kriegslüsternheit der Regenbogenpresse. Dieses »Jetzt geht’s ihm an den Kragen« und »Endlich!«. Aber auch darauf reagierte sie nicht. »Adrian und ich freuen uns sehr für Virginia«, war alles, was sie sagte.
Ein paar Tage später traf ich den Polen auf der Straße. Er unterhielt sich eben mit zwei jungen Männern, und sie verstummten, als ich mich näherte. Es war ein sehr schöner Tag mit einem vollkommen blauen Himmel, und ich breitete die Hände aus und schaute nach oben.
»Da kann man nicht jammern«, sagte ich, wie man es eben tut.
Sein Lächeln war nur kurz, und die beiden jungen Männer entfernten sich von ihm und flüsterten, was das Polnische noch mehr so klingen ließ, wie es bereits klingt.
»Die schlimmsten Dinge fangen bei gutem Wetter an«, sagte er eher zu ihnen als zu mir. »Haben Sie auch von Litauen gehört? Aber bitte, ich will Sie nicht aufhalten.«
»Ja«, sagte ich. »Das ist ebenfalls ziemlich schrecklich.«
»Je patriotischer die Russen sind, um so gefährlicher sind sie.«
Die jungen Männer grinsten uns an. Der eine nickte, der andere schüttelte den Kopf, als wären sie uneins darüber, wie sie am
besten zugleich schüchtern und gerissen wirkten. Ich dachte, sie wollten lieber allein sein, und deshalb verließ ich sie, doch als ich eine Stunde später die Haustür aufsperrte, rief er von der untersten Stufe seiner Treppe zu mir hoch.
»Jetzt sind Sie dran, mir meine Sicherung zu reparieren, Mr. Ripple.«
Die Nacht war bereits hereingebrochen, und er kam langsam die Treppe hoch, so daß ich sein Gesicht im Lichtschein aus Fosters Wohnung sah, kalkweiß mit drei schwarzen Löchern wie ein Totenschädel. »Kommen Sie«, sagte er und verschwand dann wieder.
Die Tür zu seiner Wohnung stand offen, und im ersten Augenblick konnte ich in der Dunkelheit nur das Flackern einer Nachrichtensendung im Fernsehen erkennen. Die Luft war dick von Zigarettenrauch. Dann bemerkte ich die Umrisse zweier Köpfe über dem Rand des Sofarückens und hörte Mr. Bradecki sagen: »Bitte machen Sie die Tür zu.« Er stand in der Tür, die zu einem Korridor dahinter führte, und schaltete eine schwache Birne hinter seinem Kopf an. So groß und aufrecht, wie er dastand, wirkte er wie nackt, und das Licht war wie Weihnachtspapier, das über
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