Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Nacht lang, irgendeine blöde Bestattungs- oder Hochzeitszeremonie oder was weiß ich. Habe mal ’ne Zeit am Ufer des Sambesi gelebt, konnte kein Auge zumachen. Ich war den ganzen Tag unterwegs, Tse-Tse-Kontrolle, Wildbestandsmanagement, solche Sachen. Dürfte Sie kaum interessieren. Hab manchmal die ganze Nacht oben in einem Baum verbracht und Elefanten beobachtet. Das war nichts für sie, und wer konnte es ihr verdenken? Früher haben wir sie für die Afs abgeschossen. Den Gestank des Fleischs, das in der Sonne trocknete, konnte man meilenweit riechen. Das waren die Elefanten für sie. Gestank. Ich glaube, sie hat in ihrem ganzen Leben keinen einzigen gesehen. Mit Flußpferden war’s übrigens genauso. Das Ballett war also ein ziemlicher Kontrast, auch schöne Dinge sammeln und so weiter. Habe damals nur einmal in drei Jahren Heimaturlaub bekommen, da gab’s dann jede Menge Dornröschen und Giselle und Konzerte und solche Sachen, die man durchstehen mußte. Hatte nichts dagegen, solange es sie glücklich machte, und deshalb bin ich auch mitgegangen. Da war einfach zu viel, was man nachholen mußte, ich meine, sich nur darauf freuen reichte nicht, mußten es auch auf dem Grammophon spielen, natürlich nur mit Batterien, und deshalb klang es meistens nicht richtig. Verzerrt eben. Das schien ihr aber nichts auszumachen. Hauptsache, in der schwarzen afrikanischen Nacht war was anderes zu hören als Zikaden und Trommeln und Baumfrösche und andere Tiergeräusche. Hatte mal einen jungen Schäferhund, Bertie hieß er, wurde von einem Löwen gefressen. Wir fragten uns damals, was da los ist. Ein entsetzliches Kreischen, das die schmalzigeren Passagen von Madame Butterfly oder sonstwas verhunzte. Sie liebte dieses Hündchen ...«
Er verstummte und schüttelte den Kopf.
»Klingt absolut schrecklich ...«, sagte ich.
»Ach nein. So war das eben damals. Es war ja nicht nur Tschaikowski und sich durch Unmengen von dem Zeug da saufen.« Er hielt sein Glas hoch, das leer war, und deshalb nahm ich es und
goß ihm nach. »Hab’s fast sofort wieder herausgeschwitzt. Da ist es schon mal ziemlich schwierig, besoffen zu werden. Die Damen schwitzen ja nicht soviel, nicht? Es war das Zeug und der Tschaikowski, die sie fertiggemacht haben. Andere Sachen auch noch. Schubert mochte sie ebenfalls sehr, oder war es der andere? Wahrscheinlich beide. Armes, altes Ding ...«
Noch eine Pause. »Die Leute. Haben sie zugehört, sich ums Haus versammelt?« fragte ich.
»Die Afs? Ach du meine Güte, nein. Meine Frau sagte immer: >Ich frage mich, was die Schokoladigen denken.‹ Über unsere komischen Angewohnheiten. Einer unsere Ärzte, Dickenson hieß er, sagte immer: >Wahrscheinlich schwarze Magie.‹ Das war das, was er sich unter einem Witz vorstellte. Aber der konnte meine Frau wirklich zum Lachen bringen. Man durfte die Schwarzen nur nicht langweilen. Sie liebten die Andrews Sisters. Meilenweit kamen sie gelaufen, wenn der Informationslaster die Runde machte. Malaria und Ruhr waren ihnen scheißegal, aber Chatanooga Shoeshine, das ließ sich keiner entgehen. So war das damals, das kann ich Ihnen sagen ...«
Er schaute jetzt zum Fenster hinaus und über die Dächer hinweg. Warum jagte er mir plötzlich Angst ein, er hatte doch nur in die Vergangenheit geschaut? Oder war es seine Angst, die ich sah: das Kommen und Gehen des Volvos zu allen Tages- und Nachtzeiten, die mysteriösen Telefonanrufe? Warum hatte er mir so bald schon so viel von sich erzählt? Um mich zu beeindrucken? Mit Sicherheit nicht. Jetzt trank er sein Glas aus und stand auf.
»Sagen Sie mir nur Bescheid«, sagte er. »Ich versohle ihnen schon ihre kleinen Ärsche, oder irgendwas kurz davor.«
»Nein, nein, bitte«, sagte ich. »Es war doch nichts.«
»O nein, mein Freund, Musik ist nicht nichts, wenn man nicht ohne sie kann. Um Ihre Frage zu beantworten, sie sollten unseren Freund Adolf Hussein in unsichtbare kleine Stücke zerdeppern, je eher, desto besser. Aber eins will ich Ihnen auch noch sagen. Die Afs haben wir uns nie zu Feinden gemacht. Ballettmusik und Elefanten abschlachten, besser geht’s doch nicht, oder? Gott weiß, wozu wir Elefanten brauchen. Ohne Dinosaurier kommen wir
ja auch ganz gut zurecht. Haben Sie darüber schon mal nachgedacht?«
Und dann ging er. Er dankte mir nicht für den Drink. Er war bereits meilenweit weg. Ich glaube nicht, daß er mich auch nur ein einziges Mal angesehen hatte. Als wir bei ihm gewesen waren, hatte er mich kaum
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