Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
wären sie überhaupt keine Pfleger oder Schwestern geworden. Schon von der Definition her eine ganz spezielle Klasse Mensch.
Später kam der Arzt und zeigte mir den hochgereckten Daumen. »Da setze ich meine Unterschrift sehr gern drunter«, sagt er. »Zehn von zehn Punkten.« Die Schwester blinzelte mir zu. Ich muß sagen, für mich sah er viel zu jung aus, als würde er noch
aus seinen Fehlern lernen. Adrian und Jane besuchten mich am zweiten Tag. Sie brachte Blumen und zwei Agatha Christies. Ich war noch zu benommen, um viel zu reden. Adrian schaute mich streng an, als hätte ich einen Narren aus mir gemacht und müßte jetzt die Zeche zahlen. Jane meinte, ich sollte mir einen langen Urlaub in der Sonne gönnen. Die Blumen, die sie gebracht hatten, waren gelbe und weiße Rosen, noch kaum aufgeblüht, und sie trugen all das Sonnenlicht in sich, das ich je zu brauchen meinte. Ich sagte Adrian, er sehe müde aus, aber es war Jane, die antwortete: »Dein Sohn arbeitet zuviel. Er ist zu gewissenhaft, aber das ist auch der Grund, warum er der Beste werden wird.« Er schüttelte den Kopf. »Es gibt jede Menge, die besser sind als ich.« Sie legte ihre Hand auf die seine. »Verstehst du, was ich meine?« Dann erzählten sie von einer Episode in der City, an der sie beide beteiligt gewesen waren, und ich muß zu meiner Schande sagen, daß ich einschlief. Als ich wieder aufwachte, hatte die Schwester die Blumen in eine Vase gestellt, und Sonnenlicht lag auf ihnen, und ich vermißte meinen Sohn sehr.
Sie besuchten mich noch zweimal, beim ersten Mal brachten sie mir Obst mit und beim zweiten Mal ein Kreuzworträtselheft, leider den Daily Telegraph. Sie blieben nicht lange. Ein- oder zweimal schaute Adrian auf die Uhr. Ich hoffe, er ist nicht auch bei Jane so abgelenkt. Ich erzählte ihnen noch ein bißchen mehr über meine Polenreise, als Ergänzung zu dem, was ich ihnen bereits am Telefon erzählt hatte. Sie meinten, wenn ich sonst nichts zu tun hätte, könnte ich ja versuchen, es niederzuschreiben. Nicht im Traum hätte ich mir einfallen lassen, ihnen zu sagen, daß ich bereits einen ziemlich großen Teil meines Lebens aufgeschrieben hatte, wozu auch sie gehörten. Den Ausdruck auf Adrians Gesicht kann ich mir sehr gut vorstellen.
Virginia besuchte mich ungefähr eine Woche nach der Operation. Die Schwester sagte mir, sie habe regelmäßig angerufen und sich nach mir erkundigt. Sie entschuldigte sich und sagte, es tue ihr sehr leid, daß Richard nicht kommen könne, aber er habe jetzt sehr viel zu tun, weil er es endlich zu etwas bringen wolle.
»Noch immer der große Papiertiger, was?« sagte ich und nahm ihre Hand. »Jiffy-Taschen in ganz großem Stil. Und jetzt vielleicht auch noch Registrierkassen. Da muß doch Geld drin sein.«
Darauf lächelte sie ein wenig, es war schon fast ein Kichern, doch dann zog sie ihre Hand weg. »Er glaubt, daß du dich über ihn lustig machst«, sagte sie. »Er hat nicht mehr allzuviel Selbstbewußtsein, nachdem er jetzt zweimal seinen Job verloren hat. Im Grunde genommen ist er viel zu nett, um mit anderen zu konkurrieren und Vorgesetzte zu beeindrucken. Im Augenblick braucht er jede Bestätigung, die er nur kriegen kann. Diese Schreibwarensache, ich fürchte, ich sehe da keine große Zukunft. Das ist ja eine neue, rein lokale Firma, und die großen Jungs haben europäische Partner. Er macht sich große Sorgen und schläft nicht, und es ist wieder was unterwegs.«
»Tut mir leid«, sagte ich. »Aber wenn er in der Hinsicht was Sicheres will, warum versucht er es nicht mit Chubb oder Durex ... was hast du eben gesagt?«
»Ich bin schwanger.«
»Im Ernst? Dann macht er sich wirklich zuviel Sorgen.«
Eine Pause entstand. »Du klingst nicht sehr erfreut.«
»Vor ein paar Tagen habe ich gelesen, im Evening Standard, glaube ich, daß ein Verkäufer für kalte Duschen gesucht wird. Warum ...«
Sie seufzte. »Laß das, Dad, in deinem Alter.«
»Natürlich freut es mich. Habe dich noch gar nicht nach Ann gefragt.«
»Ann ist in Ordnung.«
»Das war auch mein Eindruck.«
Als sie ging, hatte sie Tränen in den Augen. Ich glaube, vor lauter Glück.
Heute morgen starrte ich mein Fernglas auf dem Fensterbrett an und wußte kurzfristig nicht mehr, wie das Ding heißt. Vor zwei Tagen tippte ich meine Telefonnummer auf einen Brief, den ich an die Stadtverwaltung schrieb, ich weiß nicht mehr, mit welchem Anliegen. Es war die Nummer unseres Hauses in der Nähe der
North Circular
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