Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
sie den Kopf, zupfte noch einmal an meinem Ärmel und lächelte mich überrascht an, was wohl heißen sollte, wenn wir jetzt weiterreden würden, dann würde ich noch mehr Unsinn plappern, als ich es bereits getan hatte. Ich merkte, daß sie das Unterrichten genossen hatte, zu sehen, wie die Verwirrung angesichts all der unbeantworteten Fragen über die Mienen ihrer Schüler huschte, und sie auf diese Art aufs Leben vorzubereiten.
Kontinuität also, wenn schon kein Gehalt. Hier ist es, das letzte, was ich in meiner alten Wohnung schrieb über das, was ich im Haus gegenüber sah:
Sie zog sich ein dunkelgrünes Kleid über den Kopf, und es kamen beträchtliche Brüste in einem weißen BH und ein weißer Slip zum Vorschein. Eher jung. Lange Haare. Schwarz. Sie fing an, am Verschluß ihres BHs zu nesteln, doch dann schob sie, als hätte sie meine Anweisungen gehört, ihre Hand seitlich in ihren Slip. Sie stand dicht vor dem Fenster, und es sah so aus, als würde sie vor einem Spiegel stehen und durchspielen, was bereits passiert war oder gleich passieren würde. Es war gegen elf. Ich griff so schnell nach meinem Fernglas, daß ich es vom Fensterbrett stieß, und dann, nachdem ich kontrolliert hatte, was sie in der Zwischenzeit getan hatte — nichts, die Hand noch im Elastikbund, die Brüste herausgestreckt -, versuchte ich, sie mit dem Fernglas zu finden. Fenster, Ziegelwände, Dächer und ein paar Bäume huschten vorbei, bis ich es ein paar Stunden später schließlich geschafft hatte. Sie stand mir direkt gegenüber. Sie lächelte. Sie war wirklich jung. Einen Augenblick dachte ich, sie würde die Hand heben, um mir zu winken, aber sie tat es nur, um die Vorhänge zuzuziehen. Es war alles so flüchtig, daß ich in dem Augenblick, da die Vorhänge sich schlossen, nicht sicher sein konnte, ob sie nackt war. O Mann, o Mann, was hatte ich in den Stunden, die ich Wände usw. absuchte, alles verpaßt? Ich knallte das Fernglas wieder aufs Fensterbrett und beschloß, mich gleich am nächsten Tag nach einem Stativ und, wenn ich schon dabei wäre, einem stärkeren Fernglas zu erkundigen. Ich tat nichts in der Richtung. All die Jahre, in denen ich nach Einbruch der Dunkelheit zu erhellten, vorhanglosen Fenstern hinüberstarrte und nie etwas sah. Das war das Beste, was mir passiert war. Ich habe sie nie mehr wiedergesehen. Ich hatte sie noch nie zuvor gesehen. Vielleicht verbrachte sie nur diese eine Nacht dort. Sie schien glücklich zu sein mit dem, was sie bekommen hatte oder gleich bekommen würde. Die Liebe ist blind oder sieht nur, was einem dicht vor dem geistigen Auge steht. Sie kümmert sich einen Dreck um all die Spanner da draußen in
der Welt, die auf lange Sicht kalkulieren und nie etwas bekommen.
Das Fernglas ging mir beim Umzug verloren, und ich habe mir kein neues gekauft. Ich brauche keins mehr. Lieber die Welt auf Distanz halten. Die Sache war noch nicht ganz ausgestanden ... Reinen Tisch machen, schrieb ich am Ende, so rein und glänzend wie die Dächer, die ich in so vielen Nächten vor meinen Linsen hatte, im Licht des Vollmonds, wenn nach einem heftigen Regenguß der Himmel sich wieder gelichtet hatte. Und genau das, die wunderbare, vernarbte Reinheit des Mondes, die aus dünnen Wolkenschleiern hervortrat, schaute ich an, als sie in dieser Nacht vor mir auftauchte. Erst jetzt erinnere ich mich an den Regen, der im Vollmond auf den Dächern glitzerte, und kann mir einreden, daß ich höhere Dinge betrachtete und nur vorübergehend die Augen senkte und den Blick verkürzte; das kann doch nicht richtig sein, oder?
Einige Nachträge. Jane und Adrian kauften den Rest des Hauses aus Fosters Nachlaß, und der Erlös ging, wie in seinem Testament festgelegt, an das Kinderhilfswerk Save the Children. Sein Anwalt sagte, es sei das kürzeste Testament gewesen, das er je gesehen habe. Ich vermute, Jane und Adrian haben das Haus nur gekauft, damit Mrs. Bradecki und ich weiterhin drin wohnen konnten. (Janes Idee, auch wenn sie laut nur sagte, es sei einfach eine gute Investition.) Sie zogen dann für eine Weile nach New York. Virginia bekam noch mehr Kinder und Richard noch mehr Jobs. Ich übernahm wieder die Buchhaltung für den Waschsalon und das angrenzende Restaurant. Nach ungefähr sechs Monaten zogen die Tanzmädchen aus, zuerst Michelle, die in Holland »Haupttänzerin« wurde ... (»Damit Sie den anderen auf dem Haupt herumtanzen können, nehme ich mal an«, sagte ich, und jetzt war es mir nicht
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