Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Garantie, daß wir ewig weiterleben werden, wie sinnlos das auch sein mag, sondern die Frage, wie die entsetzliche Ungerechtigkeit des Ganzen je korrigiert werden könnte. Wenn es einen Gott gäbe, dann sollte man ihm eigentlich nur eine einzige Frage beständig stellen: Wie willst du die Menschen für die schrecklichen Dinge entschädigen, die ihnen angetan wurden? Im Augenblick fällt mir keine einzige andere Frage ein, die irgendeine Bedeutung hätte. Und entschädige sie so, daß sie und ihre Lieben merken, daß du es warst oder sein wirst. Gerechtigkeit ist das einzige, was wirklich wichtig ist, wenn man es sich recht überlegt, ein Ausgleich, der etwas anderes ist als der Tod. Der Rest sind einfach nur Worte und Geschichten und Musik und daß man ewig leben will — und dabei ist zumindest eines sicher, wenn man darüber nachdenkt: Keiner wird enttäuscht sein, und das ist mehr, als man über irgend etwas im Leben sagen kann. Und wenn es keinen Gott gibt, keinen Sinn, nichts von alledem, dann kann man im Hier und Jetzt nichts anderes tun, als Unglück zu minimieren und Mittel und Wege dafür zu suchen, wobei wir uns beständig unserer Unzulänglichkeiten bewußt werden; doch zugleich wissen wir auch nur zu gut, daß sich für die große, ängstliche, leidende, unbeschreiblich elende Mehrheit nie irgend etwas ändern wird ...
Gestern abend kurz vor Sonnenuntergang legte ich mir Chopin auf, eins der Klavierkonzerte. Das Fenster war offen, und der erste kühle Hauch war in der warmen Sommerluft zu spüren. Ich schaute hinaus und sah Mrs. Bradecki unten im Garten sitzen, nachdem sie den Rasen gemäht hatte. Sie sah aus wie ein Kind, umgeben von einem goldenen Teppich, den sie, während die gezackten Schatten auf sie zukrochen, nicht zu betreten wagte. Sie schaute hoch, und wir winkten einander zu. Ein paar Minuten später klopfte es plötzlich an der Tür. Ich öffnete, und sie stand da und schaute mich bescheiden, aber festen Blickes an, als würde ich ihr im Weg stehen. Ich trat beiseite, und sie ging an mir vorbei und setzte sich und starrte vor sich hin mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Sehnsucht, irgendwo zwischen Freude und Kummer oder eigentlich beides zugleich. Die Hände hatte sie im Schoß gefaltet, aber nicht verkrampft, eher so, als würden sie ineinander ruhen. Ich wollte sie eben fragen, ob sie Kaffee oder sonst etwas wolle, doch dann erkannte ich, daß sie nur hochgekommen war, um die Musik zu hören. So sagte ich nichts, sondern ging in die Küche und hantierte dort herum, was ziemlich schwierig ist, ohne ein Geräusch zu machen, vor allem in Küchen. Schließlich, als das Konzert fast zu Ende war, ging ich wieder zurück. Im Grunde kann ich nichts anderes sagen, als daß sie völlig still und stumm dasaß und ihr die Tränen über die Wangen liefen. Ich stand direkt vor ihr, aber sie sah mich nicht. So ein Weinen habe ich noch nie gesehen, und in diesem Augenblick hatte ich noch nie solche Musik gehört. Ich ging noch einmal in die Küche zurück, und aus irgendeinem Grund beschäftigte ich mich lange mit dem Schmutz unter meinen Fingernägeln. Als die Musik dann zu Ende war, kehrte ich, weil mir das angemessen erschien, mit einer vollen Flasche Wodka zurück, aber sie war bereits verschwunden.
Noch ein langer Abend. Ich hoffe, in den Häusern gegenüber ist nichts passiert, während ich weg war. Her mit dem Dingsbums, dem Fernglas. Ungefähr halb elf. Die Zeit, zu der die Leute ins Bett gehen. Noch immer eine ganze Menge davon, Fenster ohne Vorhänge. Wie üblich rein gar nichts los. He, Moment mal ...
VIERTER TEIL
KAPITEL EINS
B ald kommt das neue Jahrtausend über uns. Seitdem ich vor fünf Jahren aus meiner Wohnung im obersten Stock ausgezogen bin, habe ich immer mal wieder weitergeschrieben an diesem Bericht, doch die Unsicherheit, was das Ganze eigentlich soll, wurde immer größer. Kaum bilde ich mir ein, dieses Schreiben könnte meinem Leben Gehalt und Kontinuität gegeben haben, wird das genaue Gegenteil wahr, wenn überhaupt.
Es war eine Begegnung im Eckladen, die mich an das Millennium denken ließ. Beschäftigt hatte mich dieses Ereignis bis dahin nur in Form einer umgedrehten Schüssel mit Stacheln, die oben aus der Wölbung ragen und sie unten in der Erde festnageln, und einem Raumkörper darunter, in dem man herumlatschen kann — das alles umgeben von einer Reihe von Zonen, die Aspekte der menschlichen Erfahrung darstellen. Das Ganze sieht irgendwie verzweifelt
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