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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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alles ist, die Probleme aber dann beginnen, wenn man herauszufinden versucht, was es sonst noch gibt. Ihre Weihnachtskarten machen mich allerdings sehr glücklich. Daß so an einen gedacht wird, was die offensichtliche Trübsal, die aus ihnen spricht, mehr als wettmacht — das ist Liebe.
     
    Mrs. Bradecki wohnt immer noch dort, so gut wie mietfrei, kann ich mir vorstellen. Vor ein paar Jahren fuhr ich sie besuchen. Ich habe mir ein paar Notizen darüber gemacht. Es war im Frühsommer. Sie führte mich an den Schlafsäcken vorbei in den Garten, um mir zu zeigen, wie gut sie sich um ihn kümmerte. Der Rasen war frisch gemäht, und die Blumenbeete hatte sie erst kürzlich umgegraben und mit der guten, dunklen Erde aufgefüllt, die Agnes mir damals für meinen Garten in Suffolk aufgedrängt hatte. Wir saßen auf der Bank und redeten darüber. Sie war fast zur Expertin geworden, und sie zeigte mir mehrere Bücher und wies mich auf verschiedene Sträucher hin — wobei ich natürlich keine Ahnung hatte, wie falsch sie die Bezeichnungen aussprach.
     
    Michelles und Annelises Nachfolger waren ein Paar, das sehr oft stritt oder sich zumindest anschrie, was manchmal übertönt wurde von Musik der dröhnenden Art, oder eher Dröhnen ohne Musik. Wenn wir einander auf der Treppe oder der Straße begegneten, schafften sie nicht einmal den knappsten Gruß, offensichtlich hatte ein Blick schon genügt, um sie zu überzeugen, daß ich abstoßend alt oder widerwärtig faschistisch oder kraß intolerant oder alles miteinander war. Über den Lärm konnte ich mich nicht beschweren, denn ich befürchtete, sie würden dann nur noch lauter aufdrehen. Wenn sie schrien, genoß ich ihren gegenseitigen Abscheu, weil die Belästigung für mich dadurch ein wenig erträglicher wurde. Als Adrian und Jane mich eines Abends besuchten, wollte ich eben vorschlagen, sie sollten mit ihrer Hausverwaltung mal ein Wörtchen reden, als Adrian mir sagte, daß sie die Miete nicht bezahlten und in Kürze auf die Straße gesetzt würden.

    »Ach, die armen Dinger«, sagte ich und hoffte dabei, sie eines Tages bei gräßlichem Wetter mit ausgestreckten Händen in einem Hauseingang kauern zu sehen — na ja, vielleicht nicht ganz so schlimm.
    »Du klingst aber nicht, als würde es dir sehr leid tun«, sagte Jane.
    In diesem Augenblick fing unten die Musik zu plärren an. Ich schaute sie an und bemühte mich dabei um ein völlig ausdrucksloses Gesicht.
    »Es liegt mir fern ...«, setzte ich an.
    Sie lächelte honigsüß und nickte. »Aber natürlich«, sagte sie.
    Wie deutlich, stechend deutlich, sehe ich sie in diesem Augenblick. Über Jane ist noch mehr zu sagen. Es ist irgendwo hier drin. Irgendwann.
     
    Ich weiß nicht so recht, warum ich beschloß, noch einmal umzuziehen. Die Jahre vergingen, und aus einer Augenblickslaune heraus stieg ich an einem Frühlingsmorgen in einen Zug und fuhr in diese Stadt an der Küste, wo wir vor so vielen Jahren diese glücklichen Familienurlaube verbracht hatten. Während ich am Strand entlangwanderte, kehrten die Erinnerungen zurück: Virginia, die von einem Esel kippte, Adrian, der mir eine Muschelschale zeigte, die er für das Nähkästchen seiner Mutter gefunden hatte, wie meine Frau sagte, was für ein nachdenklicher Junge er doch werde, französisches Kricket, Virginias Schrei, als ihr eine Eiskugel auf den nackten Oberschenkel fiel, unser Gelächter danach... und so zuckte mir die Vergangenheit immer wieder durch die Gedanken, während ich zum Bahnhof zurückmarschierte und dann auf der Heimfahrt, bis die Dämmerung hereinbrach und der Zug in die halb erhellte Schmuddeligkeit Londons hineinratterte. Der Zug quietschte, zitterte und blieb stehen, und als ich auf den Bahnsteig trat, kam durch die ganze rußige Feuchte der Geruch des Meers zu mir zurück — der Schrei der Möwen, der aufleuchtende Dunst des Himmels, als die Sonne durchbrach, die wogenden, sich brechenden Wellen, etwas, das weit entfernt am Wasserrand glitzerte ... Und in diesem Augenblick glaubte ich, wenn ich
nur lange und konzentriert genug gelauscht hätte, dann hätten die Stimmen klar und deutlich auf dem Wind geklungen, wenn ich mich plötzlich umgedreht hätte, dann hätte ich gesehen, wie wir alle um eine Sandburg knieten und uns beeilten, sie fertig zu bauen, bevor die Flut kam. Zurück in meiner Wohnung, fing ich an, das alles immer heftiger und immer öfter zu vermissen. Und in den frühen Morgenstunden redete ich mir sogar ein, ich

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