Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
bringen. Von meinem Fenster aus sehe ich die Welt vorüberziehen, über das Sammelsurium an Erinnerungen hinweg, die ich nun mit ein paar gegenwärtigen Ereignissen sprenkeln will.
Gestern vormittag zum Beispiel sah ich Mrs. Felix auf mich zumarschieren. Sie hielt sich genau in der Mitte des Bürgersteigs auf eine Art, die deutlich machte, daß diesmal nicht die Zeit war für belangloses Geplänkel, nein, danke. Als wir nur noch wenige Meter auseinander waren und ich beiseite trat, hielt sie inne, und ihr offener Mund sagte nicht: »Und?« Gleich würden die Fragen auf mich einprasseln. Ihr Mann holte sie jetzt ein, er war in einem Geschäft gewesen.
Ich beeilte mich zu sagen: »Habe mich noch gar nicht für das Snickers bedankt. Der Dome. Diese ganzen Zonen. Muß doch ziemlich anstrengend sein. Vom eigentlichen Raumkörper ganz zu schweigen. Wahrscheinlich nicht, im großen und ganzen. Hätte ja selber nichts dagegen, mal mit dem Riesenrad zu fahren ...«
Ganz offensichtlich hatte sie aus irgendeinem Grund nicht den blassesten Schimmer, wovon ich sprach. Plötzlich kam mir der Gedanke, daß sie mir das Snickers vielleicht gar nicht geschenkt, sondern mich einfach nur gebeten hatte, es zu halten, während sie das Wechselgeld oder was auch immer wieder in ihrer Handtasche verstaute. Ihr Mund schloß sich langsam, und sie erwartete, daß ich noch ein Stückchen beiseite trat, da ihr Mann nun auf gleicher Höhe mit ihr war. Er sieht aus wie ein neugierig blickender, sehr graumelierter Schuljunge mit runder Brille, weiter, tiefhängender
Hose und Ponyfrisur und sogar ein paar Pickeln auf seiner Stirn. Es war, als würde sie mit einem älteren Musterschüler einen Ausflug machen. Aus Gründen, die erst später erläutert werden, glaubte er, ich sei Oxford-Absolvent und ein sehr distinguierter Akademiker. Dies hatte nun zur Folge, daß er mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, als hätte ich etwas höchst Feinsinniges gesagt. Zwei Finger zum Gruß erhoben, trat ich auf die Straße und winkte sie mit einer Kopfbewegung an mir vorbei.
Schon nach ein paar Schritten hörte ich Mr. Felix sagen: »Was um alles in der Welt sollte denn das?«
»Pscht! Habe nicht den blassesten Schimmer«, rief sie.
»Was für ein außergewöhnlicher Kerl«, sagte er nun, drehte sich zu mir um und stellte erstaunt fest, daß ich noch immer dort stand. Er wedelte mit den Fingern.
Als er dann breitärschig wie ein Elefant davonging, wedelte ich ebenfalls und dachte: Nur ein kleiner Irrtum, kein Fehler. Hoffe ich zumindest. Oder nicht? Wäre ich weniger gewöhnlich gewesen, um wieviel mehr hätte ich aus der Situation machen, hätte ich verstehen, hätte ich tun können? Aber dann hätte ich auch weniger gehabt, um darüber zu schreiben, oder, genauer, weniger Notwendigkeit, es zu tun, denn meine Nützlichkeit für die Welt spricht ja eloquent genug für sich selbst. Vielleicht wäre es ja auch unter meiner Würde gewesen, mich so herauszustellen. Und in der Welt Gutes tun, dazu hätte ich gar nicht die Zeit gehabt. Zumindest sehe ich das so. Vielleicht bin ich jetzt aber auch anmaßend. Daran ist sicherlich nichts Außergewöhnliches.
»Snickers ist doch dein Lieblingsriegel«, sagte sie, als wäre sie sehr beleidigt.
»Das höre ich zum ersten Mal«, erwiderte er.
KAPITEL ZWEI
A ls nächstes kommen in meiner Mappe vier undatierte Berichte, die in einer Zeitspanne von etwa drei Monaten geschrieben wurden: meine erste Begegnung mit John Brown im Connaught Hotel; der Besuch meiner ehemaligen Frau; eine Begegnung mit einer Immobilienmaklerin; und eine Notiz über meine Nachbarn.
An der Uferpromenade steht ein kleines Hotel mit einer Bar, in die ich manchmal gehe. Es gibt einen Salon mit Blick aufs Meer. Es gibt Ledersessel und fransenbesetzte, rote Lampen auf den Tischen, die ein so trübes Licht verbreiten, daß andere Gäste nur schemenhaft sichtbar sind. In den Sommermonaten kann es passieren, daß man keinen Platz bekommt, aber meistens ist der Salon verlassen. Auch der Barraum selbst ist dunkel, und oft sind auch dort keine Gäste. Es ist ein guter Ort, um eine Weile allein dazusitzen, vor allem, wenn die Sonne gerade im Meer versinkt. Das, und die Formen und Farben der Wolken sind nie dieselben, und es ist friedlich oder erbaulich, dem Schauspiel zuzusehen.
Ich würde länger dort bleiben, wenn mein Arzt mir Stumpen und Alkohol nicht rationiert hätte. Bin auch stark versucht, es zu tun, weil ich glaube, daß die
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