Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
Betrachtung von Wolken und Meer usw. eine Tätigkeit höchsten Ranges ist, eine Ahnung der Unendlichkeit — etwas Spirituelles, könnte man es nennen –, die mir das Gefühl gibt, zugleich vermindert wie erhöht zu werden, und das in hohem Maße, so daß man sich fragt, warum man dieses Erlebnis durch Nikotin und Alkohol nicht noch weiter steigern sollte, ungeachtet der vermindernden Wirkung dieser beiden Stoffe zu
einem späteren Zeitpunkt. Das Ganze hat etwas Ultimatives — es gibt keine Steigerung, bis auf die Musik vielleicht –, so daß es unwichtig wird, wie oft man es erlebt, mit anderen Worten, wie lange das Leben dauert, denn es ist immer dasselbe. Es vermittelt einem ein Gefühl der Zeitlosigkeit. Die gewöhnlichen Sinne werden überwältigt oder in etwas anderes verwandelt. Auch Musik wird durch Nikotin und Alkohol noch verschönert. Wie bei den Wolken usw. ist auch hier die Wirkung so, daß nie etwas besser, schöner, wunderbarer sein kann, als es im Augenblick ist. Eine Rationierung in spirituellen Dingen erscheint mir unangemessen. (Soweit ich weiß, bekommt man in Kirchen nicht gesagt, daß der Heilige Geist nicht allzuviel Zeit hat oder daß nicht genug von ihm für alle da ist oder daß zuviel von ihm die Gesundheit schädigt.) In solchen Augenblicken kann man sich selber vergessen. Den Morgen danach kann man ebenfalls vergessen — ganz zu schweigen vom Nachmittag —, denn da ist das einzige, was man nicht vergessen kann, man selbst. Die Zeit lastet dann schwer.
Das sind die Art von Gedanken, die ich mir im leicht schäbigen, dunkelroten Salon des Connaught Hotel gestatte, wo mein Sessel so steht, daß ich den Blick von den Wolken etc. mit der minimalsten Kopfbewegung zur Bar wenden kann — der zweite Grund, warum ich gern mehr trinken und mehr rauchen würde, wäre der verlängerte Anblick des Mädchens, das dort bedient. Im Lauf der Monate hat es mehrere aus den unterschiedlichsten Weltgegenden gegeben, alle charmant und hübsch anzusehen, das Übliche eben. Ich muß wohl kaum hinzufügen, daß das nur ein untergeordneter Grund ist, eigentlich völlig unbedeutend im Vergleich zum oben Erwähnten, auch wenn es radikal die Erkenntnis ändert, daß es in solchen Augenblicken — der Sonnenuntergang, der Schubert — völlig unwichtig erscheint oder zumindest nicht mehr ganz so wichtig, wann man den Löffel abgibt. Eine knappe Drehung des Kopfes, und, ups, plötzlich ist die Sterblichkeit wieder sehr wichtig. Plötzlich keine Zeitlosigkeit mehr, sondern nur die überdeutliche Mahnung an die Zeitlichkeit. Wie die Zeit vergeht. Zeit war. Sie kommt nicht wieder. Das Unbedeutende schwillt an zu einem Nebel der Sehnsucht, einer völligen Verwirrung der
Sinne. Nichts Untergeordnetes an diesem Mädchen, denen zuvor und denen danach, in alle Ewigkeit. Von einer Ewigkeit zur anderen mit einer Drehung des Kopfs. Kaum spirituell. Nur unsinnig.
Zurück also zum Sonnenuntergang oder dem Mond auf dem Wasser. Unser Strandabschnitt kann nicht sehr weit von hier entfernt sein, eine halbe Meile vielleicht. Das war eine andere Art von Erlebnis, die durch nichts zu steigern ist. Vergangene Zeit. »Darf’s noch etwas sein, Sir?« Manchmal kommt sie vorbei und fragt mich das mitten in einer solchen Überlegung. »Alles zu seiner Zeit«, erwidere ich manchmal, oder ich zahle, da ich meine Ration schon konsumiert habe, und sage: »Ein andermal vielleicht.« Das Trinkgeld ist riesig, was sie auf den Gedanken bringen könnte, es sei nur die Spitze des Eisbergs. Sie hat wirklich ein ganz reizendes Lächeln. Haben sie alle. Ich drehe dem Sonnenuntergang, den Erinnerungen den Rücken zu. Ich warte nicht auf die Stimme, die sagt: »Sperrstunde, meine Herren, bitte.« Meine Geduld mit dem Spirituellen ist nicht unendlich. »Danke«, sage ich. »Bis zum nächsten Mal.« Da sind natürlich auch noch die anderen Gedanken, mit denen ich mich bereits beschäftigt habe — der Kontext, der Vergleich mit anderen Leben, anderen Toden. Nun ja, die eigene Bedeutungslosigkeit ist dann wirklich gigantisch, zwingend untergeordnet.
So viel dazu, eine Quintessenz der Gedanken, die man in einem verlassenen Hotel am Meer hat. Soweit ich mich erinnere, habe ich mich damit noch nicht beschäftigt. Es bringt ja nichts, niederzuschreiben, was sich regelmäßig wiederholt. Der Milchmann hat heute morgen eine Flasche Milch dagelassen. Hübscher Sonnenuntergang. Cumberland Pie nicht lange genug im Ofen. Charmantes Barmädchen. Spülmittel
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