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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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seinen Weg in meinen Vorgarten gefunden hatte. Sie kam auf mich zu, zupfte dabei an ihrem ehemals goldenen Morgenmantel und strich sich die Haare zurück, als wollte sie mir zeigen, wie dringend ihr Gesicht das geringe Oktoberlicht, das wir hatten, brauchte. Es sah aus, als hätte ich sie beim Auftragen ihres blutroten Lippenstifts gestört oder als wäre er ihr ausgegangen, den er bedeckte nur den Großteil ihrer Unterlippe, was die Tatsache noch mehr betonte, daß sie im ganzen Sommer keine Zeit gefunden hatte, ihr Gesicht in die Sonne zu halten. Ich warf ihr den Ball zu.
    Ihre Stimme war dünn vor Erschöpfung. »Sie denken wahrscheinlich, wir gehören zu diesen Nachbarn aus der Hölle.« Sie schaute sich ihre nun zusammenströmenden Kinder und Hunde an und lächelte, und plötzlich wurde sie wieder zu einem Mädchen, das sich für eine Party herrichtete. »Kann ja schlecht so tun, als wäre es ein verdammtes Paradies, das muß ich zugeben.«
    Von meinem direkten Nachbarn hatte ich bereits erfahren, daß sie eine alleinerziehende Mutter ist und ihr Bruder ihren Hof benutzt, um Motorräder zu reparieren. Er ist Gelegenheitsarbeiter. Und in diesem Augenblick tauchte er auch hinter ihr auf. Ich hatte ihn schon öfter gesehen, er ging schief, den Kopf seitlich gesenkt, Folge einer deutlichen Verkrüppelung der Schulter, die es schwierig machte, ihn zu grüßen, da er Probleme haben könnte, den Gruß zu erwidern. Sein offenhängender Mund deutete darauf hin, daß ihm auch das Reden Probleme machen könnte.
    Ich schüttelte in die Richtung der drei Kinder, die jetzt an ihr vorbeistürmten, um sich den Fußball zu holen, heftig den Kopf. »Was sagt ihr zu dem Herrn?« rief sie.
    Aber sie waren zu sehr beschäftigt, ruhig und konzentriert die
Pros und Contras darzulegen, wem der Ball nun eigentlich gehöre. Die Hunde fingen an zu bellen. Die Frau machte ein beschämtes Gesicht, und aus der eben noch Sechzehnjährigen, einem halben Kind, wurde eine lebensüberdrüssige, ausgelaugte Vierzigjährige. Sie schaute zu mir hoch.
    Ich zuckte die Achseln. »Zugegeben, eine teuflische Aufgabe haben Sie schon ... Entschuldigung, aber ich weiß nicht einmal Ihren Namen.«
    Sie lachte kurz auf, und in diesem Augenblick verlor sie all diese Jahre wieder. »Ich heiße Rosie. Ich weiß, was Sie denken, besonders rosig sieht das alles hier nicht aus.«
    Der Gesichtsausdruck ihres Bruders änderte sich nicht. Ich vermutete, daß das gar nicht ging. Ich verließ sie, die Frau schrie eben die Kinder oder die Hunde an, und das letzte, was ich hörte, als ich um die Ecke bog, war: »Ach, Allmächtiger, was werden die Leute nur wieder denken.« Vor vielen Jahren hätte meine Frau eine solche Person professionell unter ihre Fittiche genommen. Sie wäre ein »Fall« gewesen, den man im Auge behalten mußte. Ich will diesen Gedanken zurücknehmen, denn wer weiß, wieviel Trost sie tatsächlich gespendet, wieviel Leid sie abgewendet hat.
    Der Punkt ist, daß diese Frau schon mindestens sechs Monate hier wohnte und ich an diesem Tag zum ersten Mal mit ihr sprach. Der andere Punkt ist, daß der angrenzende Vorhof in einen wunderschön gepflegten, kleinen Garten mit geometrischen Blumenbeeten, einem Stück unkrautlosem Rasen, zwei Vogelbädern, diversen Steintieren und fischenden Zwergen und sogar einem waschbeckengroßen Teich verwandelt worden war. Das Paar, dem das Haus gehört, sitzt häufig auf der Bank vor dem Fenster und scheint von den Zuständen nebenan überhaupt nichts zu bemerken. Sie sind auch selbst sehr klein. Zuerst dachte ich, sie mögen es vielleicht nicht, wenn die Leute stehenbleiben und ihren Miniaturlandsitz, ihren wahr gewordenen Lebenstraum bewundern. Aber als ich es tat, nachdem ich zuerst gar nicht bemerkt hatte, daß sie still auf ihrer Bank saßen, sagte ich: »Wie wunderschön«, und sie antworteten in glücklichem Gleichklang: »Ja, nicht?«
    Die meiste Zeit bringen sie damit zu, ihren Garten einfach
nur anzuschauen und ihn zu lieben. Vielleicht glauben sie sogar, sie haben es um der Nachbarn willen so schön gemacht, um ein Beispiel zu setzen. Ich vermute, daß Fußbälle und wer weiß, was sonst noch von nebenan, häufig bei ihnen landen und die Hunde herüberlaufen und die Blumenbeete ruinieren. Ich vermute auch, daß es ihnen absolut nichts ausmacht. Sie sind ziemlich unverletzlich in ihrem kleinen Flecken Ordnung und Schönheit. Sie erinnern mich ein wenig an die Hambles ohne deren Lebenssorgen. Tagein, tagaus

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