Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now
lange nicht gesehen und angenommen, daß er entweder ausgezogen oder wieder eingesperrt worden sei. Er trug eine Ledertasche und sah ungewöhnlich elegant aus. Seine dunkelgraue Hose hatte genau die richtige Länge, seine schwarzen Schuhe glänzten im Sonnenlicht, seine Krawatte stammte von irgendeinem Club, und sein grünkariertes Sakko sah neu aus. Am komischsten war, daß Bridget ihm zuwinkte und er mit einem Alltagslächeln zurückwinkte.
»Morgen, Mr. Fogarty«, hatte sie gerufen.
»Morgen, Bridget«, erwiderte er mit erstaunlich tiefer Stimme und winkte ihr mit der Tasche. Er hatte einen irischen Akzent.
Ich fragte sie jetzt, ob sie schon jemanden gefunden habe, der mit ihr das Haus teile. Sie schüttelte den Kopf. Ihre Sonnenbräune war verschwunden, jetzt war sie noch blasser als zuvor. Sie sah sehr erschöpft aus, fast, als wäre ihr das Leben an sich zuviel. Ich fühlte mich selbst ziemlich schwach, nachdem mir mein Arzt tags zuvor mit einer Miene, die mich nichts Gutes ahnen ließ, gesagt hatte, ich sollte mich wirklich wieder einmal gründlich durchchecken lassen. Da ich auf eine solche Untersuchung »mehr als vier Monate« würde warten müssen, verschrieb er mir einige neue Pillen, um mir über die Zeit zu helfen. Meine Gedanken waren mehr bei dieser Sache als bei Bridget. Wir brauchen nur den geringsten Vorwand, um als erstes und als letztes an uns zu denken. Und an jedem Punkt dazwischen. Da ist nicht einmal Platz für Gott oder sonst irgendwas von diesem Gewäsch. So kam es, daß ich sie nur mit dem winzigsten Bruchteil meines aktiven Hirns fragte: »Ist mal wieder ein Ausflug nach Scarborough angesagt? Noch mal ein oder zwei Wochen da oben in der Sonne liegen?«
Sie schaute den Hügel hinunter, doch von dort kam kein Bus.
Ich versuchte es noch einmal. »Aber ich nehme an, Weihnachten fahren Sie wieder hin oder fürs neue Millennium?«
Sie nickte und kniff die Lippen zusammen.
»Das wird sicher schön.«
»Nein, das wird es nicht.«
»Oh.«
»Ich habe mir extra einen Studienplatz hier unten gesucht, damit ich so weit wie möglich von ihnen weg bin. Ich hätte auch nach Leeds gehen können. Aber das wissen sie nicht.«
»Oh, das tut mir leid.«
»Muß es nicht.«
Erst jetzt schaute sie mich an. Ihre Haut wirkte irgendwie gespannt. Man konnte sehen, wo in späteren Jahren die Falten sein, wie verkniffen ihre Lippen werden würden. Ich ließ sie weiterreden.
»Sie denken, ich werde irgendeine Prominente im Fernsehen. Wenn der Nachspann läuft, wollen sie sagen können: >Das ist unsere Tochter! ‹«
»Das ist doch nicht so verkehrt, oder?«
»Sie nörgeln dauernd an mir herum. Ohne Unterbrechung. Meine ganze, verdammte Kindheit lang. Habe ich dies getan? Habe ich das getan? Was bringt das? Welchen Zweck hat das? Strenge ich mich auch genügend an? Wenn ich was aus mir machen will ... Sie hätten gern selber auch die Chancen gehabt, die ich hatte. Nichts ist passiert, absolut gar nichts, ohne ein Verhör. Und jetzt heißt’s, habe ich mich schon beworben bei BBC und ITV und Channel 4? Ich brauche einen guten Abschluß, um zu einem Bewerbungsgespräch vorgelassen zu werden. Sie setzen große Hoffnungen in mich, sagen sie. Daß ich in meinem Leben mal wirklich erfolgreich werde. Sie hoffen, ich mache da nicht mit bei diesem ganzen Studentenblödsinn, von dem sie überall lesen. Sie haben doch nicht das ganze Leben geknausert und gespart, damit ich es jetzt versaufe oder für Drogen ausgebe oder auf Demos gehe.«
Ich stellte mir vor, wie sie bei einem Bewerbungsgespräch vor irgendeinem Schreibtisch sitzt. Den Job würde jemand anders bekommen. Wieder einmal. Sie würde ihre Eltern enttäuschen. Ich konnte ihr nicht sagen, daß das, was sie für sie empfanden, eine Art von Liebe war. Sie wollten, daß sie glücklich und erfolgreich wurde. Sie wollten, daß sie erfolgreich wurde, damit sie glücklich sein konnten. Wie sehr lieben wir die Menschen um ihrer selbst willen und nicht unseretwegen, wie sehr können wir das überhaupt? In diesem Teufelskreis kann man für immer steckenbleiben. Sie wandte sich von mir ab, und nun bog wirklich ein Bus um die Kurve. Es gab nichts Vernünftiges oder Hilfreiches, was ich ihr sagen konnte. Sie stand auf.
»Entschuldigung«, sagte sie.
»Na ja, wenn Sie in Ihrem Studium weiterhin alles gut machen, dann bin ich sicher, daß Sie sie eines Tages sehr stolz machen werden.«
»Im Grund genommen mache ich das Studium alles andere als
gut. Ich komme mit
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