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Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now

Titel: Ein unauffälliger Mann - Chadwick, C: Ein unauffälliger Mann - It's All Right Now Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Chadwick
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wenn ich die Sachen einfach nur denke? Den meisten ist das genug. Gedanken. Worte. Und alles löst sich in Luft auf.
     
    Diesen Urlaub sehe ich inzwischen in Bruchstücken: meine Kinder, die sich gegenseitig bespritzen; mein Sohn, der mit einem Stück feuchten Tang über die Rückseite der Beine meiner Frau streicht; meine Frau, die gebannt zu unserer Tochter ganz oben auf dem Riesenrad hinaufstarrt; das Zucken in den Hinterbacken meiner Tochter, als ein Lümmel mit O-Beinen und fettigen Haaren an ihr vorbeigeht und sich die Lippen leckt; mein Sohn, der beim Kricket mit einem seiner kräftigen Schläge die Thermoskanne eines alten Mannes umschießt, meine Frau, die ihre Brille abnimmt und sie mir gibt, ihr Buch zuklappt und mir ebenfalls gibt und dann wie ein Kind zum Wasserrand hüpft; meine Tochter, die sich Sonnencreme auf die Oberschenkel schmiert und deren Gesichtsfarbe sich von Rosa zu Golden verändert; mein Sohn, der den ersten Kopfsprung vom Beckenrand wagt, die Arme steif nach oben gestreckt und dicht an den Ohren, beugt er sich vor und läßt sich einfach hineinfallen; das Zerzauste nasser Haare; Sand im hellen Flaum auf Armen und Beinen; und überall dahinter die Weite glitzernden Wassers.
    Ich habe keine Erinnerung an die Leute in unserer Umgebung. Ich sehe uns nicht als eine Familie inmitten von anderen. Der Lümmel mit den O-Beinen; der alte Mann mit der Thermosflasche; unsere minderbemittelte, trödelnde Kellnerin mit dem Notizblock
und dem Bleistift, die ihr von der Schürze baumelten, und mit ihrem bezaubernden, unschuldigen Lächeln; das traurige Stirnrunzeln eines der neuen Freunde meines Sohns am Tag unserer Abfahrt — an diese Sachen kann ich mich mit einiger Anstrengung gerade noch erinnern, aber zwischen dem Vordergrund meiner Familie und den rollenden Wellen betrachte ich all die Geschäftigkeit und den Lärm nur als Störungen meiner Erinnerungen. Tatsächlich kann ich mich an Geräusche überhaupt nicht erinnern, weder an den Klang der Wellen noch an den Lärm der Menge, noch an unsere Gespräche. Abgesehen von obigen und einigen anderen, ähnlichen Bruchstücken kann ich mich an nichts, was irgendeiner von uns gesagt hat, erinnern, bis alles vorüber war. Daß wir glücklich waren, folgere ich aus dem tieferen Schweigen, als wir packten und unsere Koffer wieder ins Auto luden: Das heißt, ich betrachte diese sprachlose Traurigkeit als Maß unseres vorherigen Glücks.
    Als ich den Gang einlegte und wendete, bevor ich auf die Straße fuhr, legte meine Frau ihre Hand auf meine und sagte: »Das war ein wunderbarer Urlaub, mein Lieber. Vielen Dank.«
    »Mir brauchst du nicht zu danken«, sagte ich. »Ich sollte mich bei euch bedanken, euch allen dreien.«
    Und ich schätze, ich meinte das wirklich ernst. Aus ganzem Herzen. Denn als ich mich umdrehte, um durch die Heckscheibe zu schauen, sah ich die Gesichter meiner Kinder, dunkel, gesund, müde und zufrieden, und sie grinsten mich an und brauchten mir nicht zu danken. Mußten es dann aber, denn meine Frau sagte, natürlich: »Bedankt euch bei eurem Vater.«
    »Danke, Dad«, sagte mein Sohn.
    »Ja, Dad, vielen, vielen Dank«, fügte meine Tochter hinzu.
    Sie meinten es beide ernst, und ich erwiderte: »Es war mir ein Vergnügen.«
    Und das war es, an diesem Tag, das war es wirklich.
    Ich erinnere mich auch an meinen letzten Blick aufs Meer, als wir davonfuhren und es anfing zu nieseln. Das Wasser war grau und kabbelig, und am Strand war niemand außer einem großen Mann mit einem Spaniel, der ohne Regenmantel, seinen Wanderstock
tief in den Kies stoßend, direkt in den Regen ging. Und jetzt genau in diesem Augenblick meine ich zu wissen, warum ich dies alles niederschreibe. Es geht nicht nur um Bewahrung — das schaffen auch die Fotos, und sie rufen noch viel mehr wach –, das Schreiben vermittelt einem das Gefühl, das Vergehen der Zeit zu beherrschen, auch wenn es nur zeitweilig ist.
     
    Meine Stimmung blieb nicht so gehoben. Auf der Heimfahrt, zwischen den Gesprächsphasen und dem zufriedenen Schweigen, das jeweils darauf folgte, entschied ich, es sei an der Zeit zu entscheiden, wie meine Werte aussehen sollten — angefangen bei Liebe und Dankbarkeit und Demut und Rücksichtnahme und dergleichen. Ich hatte zwei wunderbare Wochen mit meiner Familie am Meer verbracht, wie hunderttausend andere auch, einfache, häusliche, vorstädtische, liberale, anständige Leute, die wir doch alle sind. Was für eine bessere Zeit könnte es geben, um

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