Ein unbeschreibliches Gefuehl
Atarneus, war ein Eunuch und einstiger Sklave, der von seinem Herrn zwei Städte in Kleinasien, der heutigen Türkei, vermacht bekommen hatte. Von 347 bis 345 v.Chr. lebte Aristoteles, aus politischen Gründen in Athen missliebig geworden, bei Hermeias. Als dieser 342 v.Chr. wegen heimlicher Koalition mit den Makedonen von den anrückenden Persern gefangen genommen und hingerichtet wurde, traf das den Philosophen tief. Ein Gedicht, das Hermeias gewidmet ist, zeugt davon. Bald darauf heiratete Aristoteles. Seine Frau war – eine Nichte seines Freundes!
Entdeckung des Herzens
U nser Spektrum erweitert sich. Wir lernten die Liebe bei Hesiod als kosmische, schöpferische Macht kennen, dann bei Platon als Aufstieg der Seele zum höchsten Ideal und zuletzt bei Aristoteles als Freundschaft, die auf Gleichheit, Gegenseitigkeit und auf Selbstliebe beruht. Aber, so fragt sich jetzt wohl mancher, wo bleibt denn die Leidenschaft? Klar, bei Hesiod ging es um nichts weniger als um Leben oder Tod, aber irgendwie hörte sich doch alles ein wenig ferngerückt an. Erst recht bei Platon, dem Verehrer des Schönen, Wahren, Guten. Und Aristoteles – nun, seine Tipps sind ja erfreulich alltagstauglich, aber wir hätten es doch gern etwas gefühlvoller, etwas verrückter, himmelstürmender. Oder nicht?
Bitte schön, sagt da die Philosophie, bitte schön, und sie öffnet uns eine Tür. Hinter der sitzt … ein Mann der Kirche! Himmelstürmende Liebe kann uns Augustinus liefern, jawohl. Aber das mit dem Himmel ist unbedingt wörtlich zu nehmen bei ihm und bei all den Denkern, die von ihm beeinflusst sind. Ihre Überlegungen gelten einzig und allein der Liebe zu Gott, auch wenn sie selbst sich zuweilen in höchst irdische Liebeswirren verstrickt haben.
Augustinus zum Beispiel, 354 n.Chr. geboren im nordafrikanischen Thagaste, ein Sohn aus gutem Hause, der in jungen Jahren nach Italien ging. Als Lehrer und Professor für Rhetorik genoss er sein Leben in jeder Hinsicht. »Herr, gib mir Reinheit und Mäßigung, aber bitte später!«, soll einer Anekdote zufolge sein Abendgebet gelautet haben – vor seiner Bekehrung natürlich! Zehn Jahre lang hatte Augustinus eine Geliebte, mit ihr zeugte er auch ein Kind, bis er sie um 385 auf Drängen seiner Mutter verstieß: Monnica, die später Heiliggesprochene, hatte eine karriereförderlichere Verlobung ihres Sohnes im Auge. Aus der wurde dann aber doch nichts. Und Augustinus begann nach dem Sinn des Lebens zu suchen, in wachsender Verzweiflung, weil er zunächst nicht fündig wurde. Bis er sich dann zum Christentum bekehrte. Er ging nach Nordafrika zurück, wurde Bischof von Hippo und durch seine Schriften bedeutendster Kirchenvater, »Lehrer des Abendlandes«.
Nach seiner Bekehrung suchte Augustinus alles hinter sich zu lassen, was ihn vom Glauben ablenken konnte. Fortan gab es für ihn nur eine richtige Liebe: diejenige zwischen Gott und Mensch. Augustinus unterteilte sie dreifach. Da ist erstens die Liebe, mit der der Mensch zu Gott aufzusteigen sucht. Diese Liebe ähnelt stark dem Eros, dem fragenden Aufstieg der Seele zu den höchsten Ideen bei Platon. Denn Augustinus war vom Neuplatonismus beeinflusst, durch dessen Brille er Platon las. Zweitens gibt es die Liebe des Menschen zum anderen Menschen, zu seinem Nächsten. Sie ähnelt ein wenig der Philia, der Freundschaft bei Aristoteles, heißt aber Caritas, in lateinischer Übersetzung des neutestamentlichen Begriffs Agape. Und drittens gibt es die Liebe Gottes zu seiner Schöpfung, die zugleich eine Liebe Gottes zu sich selbst ist, womit wir an die Selbstbezüglichkeit des unbewegten Bewegers bei Aristoteles erinnert werden.
Weiter sagt Augustinus: Gott allein wird in der beseligten Schau ohne jeden Eigennutz »genossen« (lateinisch: »frui«), während die irdischen Dinge »gebraucht« (»uti«) und damit unweigerlich den eigenen Zwecken untergeordnet werden. Deshalb darf man auf gar keinen Fall einen Menschen so lieben, wie man Gott liebt. Den Menschen muss man menschlich lieben, sagt Augustinus. Das ist eine wichtige Erkenntnis. Für heute ließe sie sich so übersetzen: Es wäre verkehrt, den Partner zu vergöttern. Das würde ihn überfordern und die Liebe auch. Je höher der Sockel, auf den man jemanden stellt, desto tiefer der Sturz, der unweigerlich folgt. Der tut weh – demjenigen, der fällt, ebenso wie dem, der den Fall mit ansehen und so erkennen muss, dass er einen ganz normalen Menschen vor sich hat.
So weit, so gut.
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