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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Schlueter
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der Pariser Universität ansehen kann. Um das Jahr 1114 wurde Abaelard Hauslehrer von Héloïse, der begabten Nichte und Pflegetochter des Pariser Kirchenmannes Fulbert. Zwischen ihr und dem 16 Jahre älteren Philosophen entwickelte sich schon bald eine Liebesbeziehung. »Was soll ich weiter viel sagen«, schrieb Abaelard Jahrzehnte später in seiner Autobiographie. »Zuerst ein Haus, dann ein Herz und eine Seele. Unter dem Deckmantel der Wissenschaft gaben wir uns ganz der Liebe hin … Da war denn freilich über dem offenen Buche mehr von Liebe die Rede als von Wissenschaft, da gab es mehr Küsse als weise Sprüche … Die ganze Stufenleiter der Liebe machte unsre Leidenschaft durch, und wo die Liebe eine neue Entzückung erfand, da haben wir sie genossen.«
    Schon bald stellten Abaelards andere Schüler verärgert fest, dass ihr Lehrer im Unterricht offensichtlich nicht mehr ganz bei der Sache war. Schließlich erfuhr auch Fulbert von der Liaison. Es kam zum Streit, und Abaelard brachte seine Geliebte vorsichtshalber zu seiner Familie. Dort gebar Héloïse den gemeinsamen Sohn, den sie Astralabius nannte, »der nach den Sternen greift«. Tatsächlich war diese Liebe ein Griff nach den Sternen – strahlend und aussichtslos zugleich. Um den gekränkten Fulbert zu besänftigen, bot Abaelard an, Héloïse zu heiraten und damit den gemeinsamen Sohn zu legitimieren. Einzige Bedingung: Die Ehe müsse geheim bleiben, damit sein, Abaelards, Ruf als Theologe nicht darunter leide. Fulbert war einverstanden – nicht aber Héloïse! Sie beschwor Abaelard, sie nicht zu heiraten, und gab zu bedenken, »welches Hindernis für deinen gelehrten Beruf eine bürgerliche Ehe wäre … Was für ein Durcheinander! Schüler und Kammerzofen, Schreibtisch und Kinderwagen! … Wer kann sich mit Betrachtung der Schrift oder mit dem Studium der Philosophie abgeben und dabei das Geschrei der kleinen Kinder, den Singsang der Amme, die sie beruhigen soll, die geräuschvolle Schar männlicher und weiblicher Dienstboten hören?« Viel lieber, so zitiert Abaelard in seiner Autobiographie die Einwände Héloïses, wolle sie seine Geliebte bleiben.
    Wir wissen nicht, ob es ausschließlich Selbstlosigkeit war, die aus diesen Worten sprach. Immerhin wäre es mit Héloïses eigener geistiger Arbeit ganz vorbei gewesen, wenn sie eine nach damaligen Maßstäben ehrsame Ehefrau geworden wäre. Andererseits stellte – mal abgesehen vom Gang ins Kloster – eine Ehe seinerzeit den einzig achtbaren Weg aus dem Dilemma dar. Insofern spricht doch einiges dafür, dass Héloïse rein aus Liebe zu Abaelard auf die Ehe mit ihm verzichten wollte. Doch als herkömmlichen Haushalt hatte der sich das Ganze ohnehin nicht gedacht. Denn nachdem er seinen Willen durchgesetzt und Héloïse in Paris an einem frühen Morgen tatsächlich geheiratet hatte, sahen sich die beiden nur mehr selten. Die Ehe sollte geheim bleiben, der Sohn wuchs bei Abaelards Schwester auf, er wurde später selbst Geistlicher. So hätte nun Ruhe einkehren können, wenn nicht der immer noch gekränkte Fulbert hartnäckig herumgetratscht hätte. Da ließ Abaelard seine Héloïse kurzerhand in ein Kloster bringen, wo sie, bis auf den Schleier, das Nonnengewand trug. Ein fataler Schritt! Denn nun war Fulbert erst recht sicher, dass Abaelard seine Nichte nur verführt hatte, um sie jetzt doch loswerden zu wollen. Er engagierte ein paar Männer, bestach Abaelards Diener und ließ den Verhassten eines Nachts entmannen.
    Aufs äußerste gedemütigt, zog sich Abaelard als Mönch in ein Kloster zurück. Auch Héloïse nahm nun vollends den Schleier. Sie war fest davon überzeugt, sie allein habe alles Unglück über Abaelard gebracht. Diesem freilich gelang es auch als Mönch, seine wissenschaftliche Karriere fortzusetzen. Jahre später schenkte er Héloïse, die mittlerweile Priorin geworden war, die von ihm aufgebaute Einsiedelei Le Paraclet in der Champagne und begleitete die einstige Geliebte und deren Mitschwestern brieflich als geistlicher Berater. Er selbst gab das Ordensleben wieder auf, schrieb und veröffentlichte, sammelte erneut Schüler um sich und stürzte sich in aussichtslose Konflikte mit dem kirchlichen Establishment, verkörpert durch den mächtigen Abt Bernhard von Clairvaux, einen Mystiker und Kreuzzugsprediger.
    Nach seinem Tod 1142 wurde Abaelard auf Héloïses Wunsch in Le Paraclet beigesetzt. Seine einstige Geliebte starb 22 Jahre später und wurde neben ihm begraben. 1817

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