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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Schlueter
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der Körper in Aktion versetzt, so dass vermehrt Blut zum Herzen geschickt wird und infolgedessen auch das Hirn mit kräftigeren »Lebensgeistern« versorgt wird. Die wiederum verstärken den Eindruck, den die erste Vorstellung von dem geliebten Objekt im Gehirn erzeugt hatte – ein sich selbst verstärkender Kreislauf also. Man könnte auch sagen: Unter dem Eindruck des geliebten Gegenübers wird der Mensch ein Opfer seiner eigenen körperlich-seelischen Mechanismen. Keine schöne Vorstellung für einen Rationalisten wie Descartes, der sich lieber auf die Urteile der Vernunft verließ …
    Spinoza nun folgt ihm: Auch er versteht die Liebe als Mechanismus, der einsetzt, wenn wir von etwas oder jemand anderem berührt worden sind. Diese Berührung erzeugt in uns einen Affekt, eine verworrene Idee, die begleitet ist von heftigen Gefühlen. Verliebt zu sein ist ein Zustand, in dem wir uns von dem anderen, ob wir nun wollen oder nicht, eine unvollkommene und teilweise falsche Vorstellung machen. Denn eine richtige, angemessene Vorstellung können wir uns nur von dem machen, was in uns ist, nicht aber von dem, was außerhalb unser ist. Alles, was sich außerhalb unseres Körpers und unseres Verstandes befindet, »erleiden« wir eher: Wir erleben die Auswirkungen dieses anderen an uns selbst, wir haben die verworrenen Ideen und dazugehörigen Gefühle, können aber nicht viel daran ändern.
    Spinozas Schlussfolgerung: Wer sich auf die Liebe einlässt, nimmt das Leiden in Kauf, denn er bindet sich an etwas, das außerhalb seiner selbst ist und von dem er infolgedessen keine genaue Kenntnis hat, dessen Einfluss er sich und seine Gefühlswelt aber aussetzt. Heutige Psychologen würden Spinoza vermutlich ein extremes Kontrollbedürfnis attestieren, eine Angst vor Kontrollverlust. Spinoza will in allen Dingen Herr des Verfahrens bleiben. Und weil er einsieht, dass das im Umgang mit anderen Menschen und den Dingen dieser Welt nicht möglich ist, verzichtet er darauf, sich allzu tief auf sie einzulassen. Er hält sich lieber an das, von dem er sicher ist, dass er sich darauf verlassen kann: an die Gewissheit, Teil der einen göttlichen Substanz zu sein. Diese Gewissheit ist für ihn philosophisch abgesichert, also kein Trugbild. Hier droht keine Enttäuschung.
    Konsequenterweise hat Spinoza sehr zurückgezogen gelebt, mit wenigen Gleichgesinnten Freundschaft gepflegt und nie geheiratet. Auch die romantische Jugendliebe zu Clara Maria van den Enden, der Tochter seines Amsterdamer Lateinlehrers, wird heute ins Reich der Fabel verwiesen. Gehbehindert und zugleich hochbegabt, hat das junge Mädchen seinen Vater im Unterricht unterstützt und zuletzt einen von dessen Schülern geheiratet, Dirk Kerckrinck, der später Arzt in Hamburg wurde. Kerckrinck, ein Freund und Mitschüler Spinozas, habe den armen Juden mit einer Perlenkette bei Clara Maria ausgestochen, so lautet die Klatschgeschichte, an der jedoch nichts dran ist. Denn als Spinoza im Haus ihres Vaters weilte, war sie 13 und er 25 – das wäre eine selbst nach damaligen Maßstäben ungewöhnliche Alterskonstellation gewesen.
    Jedoch: Nicht alle können so zurückgezogen existieren wie Spinoza, und selbst er hat ja auch gewusst, dass man sich in diesem Leben nicht von allen äußeren Einflüssen isolieren kann. Berührungen von außen und somit Affektzustände sind unvermeidlich. Wie hält man aber das durch sie verursachte Leiden gering? Durch Einsicht, sagt Spinoza. Wir müssen uns immer wieder klarmachen, dass wir Teil der einen großen Substanz sind und infolgedessen in das Wechselspiel eingebunden sind, mit dem sie sich selbst ständig neu hervorbringt. Die daraus resultierende Unfreiheit und das Ausgeliefertsein in heiterem Gleichmut zu ertragen und sich nicht darüber aufzuregen, wenn etwas geschieht, was man nicht ändern kann, das ist schon mal ein Schritt in die richtige Richtung. Unser Schicksal müssen wir lieben, sagt Spinoza, uns bleibt nichts anderes übrig. Mit unseren Gefühlen jedoch können wir konstruktiv umgehen, wenn wir uns bemühen.
    Zum Beispiel der Liebeskummer! Er ist die unvermeidliche Auswirkung einer vergänglichen Illusion namens Liebe. Erwischt er einen, dann hilft es, sich klarzumachen, dass die Quelle dieses Liebeskummers etwas »Äußeres« ist, etwas, von dem man nur eine unklare, ungenaue Vorstellung hegt und auf das man wenig Einfluss hat. Dann, so rät Spinoza, sollte man versuchen, das Gefühl auf etwas anderes, Erfreulicheres zu

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