Ein unbeschreibliches Gefuehl
richten, damit es der Seele bessergeht. Oder man schaltet den Verstand ein und macht sich klar, »dass das geliebte Ding, das für etwas Großes und Herrliches gehalten wurde, viel Unheil und Elend im Gefolge hat«. So kann man den Affekt von der äußeren Ursache abtrennen, damit er, von seiner Quelle abgeschnitten, quasi austrocknet. Oder aber man richtet den Blick auf das, was der geliebte Gegenstand mit vielen anderen Gegenständen gemeinsam hat – man verallgemeinert. Dann verliert der Geliebte seine vermeintliche Einzigartigkeit, was wiederum den Affekt abschwächt, weil sich das Gefühl nun auf viele Zielobjekte verteilt, anstatt sich auf ein einziges zu richten.
Liebeskummer lohnt sich nicht, wir selbst haben Einfluss darauf, wie weit wir uns ihm überlassen und was wir unternehmen, um seine Wirkung zu schwächen, davon ist Spinoza also überzeugt. Seine Ratschläge, wie man seelische Ausgeglichenheit erlangen kann, sind eigentlich bis heute aktuell. »Andere Mütter haben auch schöne Söhne/Töchter«, »So toll war er/sie letztlich doch gar nicht«, »Er/sie tut mir nicht gut« – so und ähnlich würden moderne Menschen in Liebeskonflikten praktisch umsetzen, was Spinoza einst empfohlen hat.
Die Frage ist nur: Soll man sich dann überhaupt noch verlieben? Spinoza würde sagen: Lieber nicht! Aber wiederum dagegen gefragt: Kann man das überhaupt planmäßig, sich bewusst nicht verlieben? Und wäre dieser Preis nicht doch zu hoch? Spinoza würde darauf erwidern, dass man für den Verzicht etwas sehr Schönes bekommt, nämlich seelische Ausgeglichenheit. Und außerdem gebe es ja das viel wertvollere Gut, nämlich die Gewissheit, ins große Ganze der einen göttlichen Substanz eingebunden zu sein …
Sicherlich gibt es auch heute zahlreiche Menschen, die bewusst oder unbewusst nach Spinozas Ideal handeln und sich gar nicht erst verlieben, um nicht verletzt zu werden. Und immer mehr Menschen suchen, ob in den großen Religionen oder in einer esoterischen Richtung, nach Antworten auf die Frage nach ihrem Platz im Leben. Spinozas Modell der All-Einheit, der jeder zugehört, ist so gesehen sehr aktuell. Trotzdem urteilt der portugiesische Neurowissenschaftler António R. Damásio, der in seinem Buch »Der Spinoza-Effekt« das Moderne am Menschenbild des portugiesischstämmigen Niederländers Spinoza herausgearbeitet hat, »dass Spinozas Lösung anscheinend am besten in isolierter Selbstbezogenheit und ohne Nähe zu anderen funktioniert. Für unsere heutige Zeit scheint mir das eine recht unpraktische Askese zu sein.« Und die meisten werden ihm in dieser Einschätzung wohl folgen.
Als wenig asketisch empfanden interessanterweise die Romantiker Spinozas Ideen. Wie vor ihnen schon Gotthold Ephraim Lessing und Johann Wolfgang von Goethe waren sie von jener Gleichsetzung von Gott und Natur begeistert, die Spinozas Zeitgenossen eineinhalb Jahrhunderte zuvor noch als Teufelszeug gegolten hatte. Die Romantiker interpretierten sie auf ihre eigene Weise, indem sie die Natur als Offenbarung des Göttlichen feierten, als durchwirkt von einer Weltseele, an der jeder Einzelne Anteil hat und durch die alle Einzelwesen miteinander verbunden sind. Das »Betriebsgeheimnis« dieser Weltseele aber, so hat es der Berliner Literaturwissenschaftler Wolfgang Rath 1998 treffend formuliert, ist die Liebe. In der blauen Blume wurde dieses Sehnsuchtsziel symbolhaft dargestellt. Sie ist »das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe«, fasste Ricarda Huch um die Wende zum 20. Jahrhundert in ihren Studien über die Romantik zusammen. Und Heinrich Heine, der noch von der Romantik beeinflusst war und sie mit Satire und Realismus überwand, dichtete in den 1830er Jahren halbironisch: »Der heilge Gott der ist im Licht/Wie in den Finsternissen;/Und Gott ist alles was da ist;/Er ist in unsern Küssen.«
So, gerade so hatte Spinoza es natürlich nicht gemeint. Doch die Liebenden der Frühromantik und später Heine, der sich als Libertin inszenierte, hatten wohl weniger Furcht vor dem Kontrollverlust als Jahrhunderte zuvor der portugiesisch-jüdische Philosoph. Die dramatischen und von den wohlanständigen Bürgern mit verständnisloser Empörung beäugten Liebeswirren freilich, die dann im Bannkreis der frühromantischen Jenaer Wohngemeinschaft um die Brüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel stattfanden, hätte Spinoza sicherlich als schlagenden Beweis für die Richtigkeit seiner
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