Ein unbeschreibliches Gefuehl
ein paar philosophische Probleme, die nicht befriedigend gelöst waren. Vor allem brechen bei ihm die Materie und das Denken komplett auseinander: Alles, was stofflich existiert (dazu rechnet Descartes nicht nur Lebloses, sondern auch Pflanzen, Tiere und den menschlichen Körper), bezeichnet er als »ausgedehnte Dinge« (»res extensa«), als bloße Automaten. Denkend (»res cogitans«) und damit Geist ist allein das menschliche Ich.
Dieser Zerfall in Stoff und Geist ist so grundsätzlich, dass man sich fragen muss, wie beides im Menschen überhaupt zusammenkommen kann – ein Problem, über das Neurologen und Philosophen übrigens heutzutage auch wunderbar diskutieren können, etwa wenn es darum geht, ob der Mensch einen freien Willen hat oder doch eher Spielball des neuronalen Feuerwerks in seinem Gehirn ist. Descartes’ Antwort jedenfalls wird vermutlich schon damals nicht alle seine Leser überzeugt haben: Er hielt die Zirbeldrüse für das Organ, in dem sich Körper und Geist des Menschen verbinden.
Das alles ist wichtig zu wissen, denn erst vor diesem Hintergrund wird Spinoza verständlich. Angeregt von Descartes, geht er doch weit über diesen hinaus. Um das Auseinanderfallen von Denken (Geist) und Ausdehnung (Materie) zu vermeiden, erklärt er diese zwei Substanzen, die bei Descartes noch getrennt waren, zu Erscheinungsformen ein und derselben, mithin einzigen Substanz. Die nennt Spinoza »Natur« – oder auch Gott. Letzteres haben ihm damals aber nicht alle abgenommen, am wenigsten die frommen Rabbiner und Calvinisten seiner niederländischen Heimat.
Ob Spinoza heimlich Atheist war oder doch an eine göttliche Qualität der Natur geglaubt hat, lässt sich tatsächlich nicht restlos klären, auch wenn später Lessing, Goethe, die Romantiker und die Philosophen des deutschen Idealismus wie Schelling seine Lehre als Pantheismus feierten, darin eine neue, zeitgemäße Religion erkannten und auf ihr wiederum ihr eigenes Liebeskonzept aufbauten. (Pantheismus bedeutet: Das nicht als Person, sondern als Kraft gedachte Göttliche ist im ganzen Universum bis ins kleinste Teilchen hinein ausgestreut und wirksam, somit ist das Universum quasi göttlich.)
War Spinoza Atheist, so tat er jedenfalls gut daran, es nicht zuzugeben. Freidenker wie Descartes und er lebten gefährlich. Erst vor wenigen Jahren haben Forscher neue Beweise für die immer wieder einmal kursierende These vorgelegt, wonach Descartes’ rascher Tod nach seiner Ankunft in Stockholm nicht durch das harte schwedische Klima verursacht worden sei, sondern durch eine mit Arsen vergiftete Hostie, die ein Augustinerpater dem verhassten Franzosen bei der Kommunion gereicht haben soll … Und Spinoza entging einer drohenden Verhaftung wohl nur durch seinen frühen Tod an Tbc.
Doch zurück zu der einen, einzigen Substanz, von der Spinoza sprach! Diese ist gleichzeitig eine, die sich hervorbringt, und eine, die von sich selbst hervorgebracht wird. Schöpfer und Schöpfung, Gott und Welt sind nichts als zwei Seiten derselben Medaille: Gott bringt sich selbst hervor und bleibt dabei immer eine einzige Substanz. Bezogen auf die geistige Erscheinungsform, heißt das: Gott als Idee denkt sich selbst. Wir als Menschen gehören dabei natürlich auf die Seite der hervorgebrachten Natur. Wir sind also lauter Ideen Gottes, der sich damit selbst denkt. Oder anders gesagt: Wir sind alle kleine Ideen in der einzigen großen Idee, dem allumfassenden Verstand namens Gott. Und unser sehr legitimes Streben nach Selbsterhaltung ist letztlich die Liebe, mit der Gott sich selbst liebt. Das zu erkennen, durch Nachdenken und in intuitiver Schau, in »geistiger Gottesliebe«, das ist nun das Einzige, was uns wirklich verlässlich glücklich machen kann, sagt Spinoza, der sich – siehe seine Selbstauskunft – ja auf die Suche nach solch einer dauerhaften Glücksquelle gemacht hatte. Alles andere ist unzuverlässig, vergänglich, trügerisch, eine Illusion.
Gilt das auch für die zwischenmenschliche Liebe? Jawohl, auch diese Liebe ist vergänglich, eine trügerische Funktion unseres Körpers und unserer Seele. Als Kind seiner Zeit war Spinoza beeindruckt von Descartes’ Schematismus. Wie hatte der Franzose noch gesagt? Liebe geschieht, wenn unsere Seele dazu angeregt wird, sich mit etwas anderem, einem »Objekt«, zu verbinden. Der Verstand, so hatte Descartes seine Anatomie der Liebe erläutert, stellt sich das geliebte Objekt vor. Unter dem Eindruck dieses Gedankens wird
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