Ein unbeschreibliches Gefuehl
darin fest, dass diese Lebensweise den Sinn für die Gemeinschaft, also den politischen Sinn und das Bedürfnis, im Austausch mit anderen Menschen zu handeln, zerstört habe. In diesem Buch kommt sie auch wieder auf die Liebe zu sprechen und setzt nun die Denkbewegung fort, die sie ausgehend von Augustinus über Rahel Varnhagen bis hierher geführt hat.
»Amor mundi« – »Liebe zur Welt« hatte Arendt ihr Buch über das tätige Leben zunächst nennen wollen. An ihren Doktorvater Karl Jaspers schrieb sie 1955: »Ich habe so spät, eigentlich erst in den letzten Jahren, angefangen die Welt wirklich zu lieben … Aus Dankbarkeit will ich mein Buch über politische Theorien ›Amor mundi‹ nennen.« Worin besteht diese Liebe zur Welt? Sie besteht in der Bereitschaft, handelnd Verantwortung für den öffentlichen Raum zu übernehmen, die Welt zu gestalten und dabei den Mitmenschen in einer respektvollen »politischen Freundschaft« (den Begriff fand Arendt bei Aristoteles) zu begegnen. Arendt betont den Wert des Handelns – einer auf das Mitmenschliche ausgerichteten Tätigkeit – in Abgrenzung zu den beiden anderen Tätigkeiten des Arbeitens und Herstellens, die primär auf Dinge ausgerichtet sind. Die Arbeit, so sagt sie, ist ein Zwang, dem wir nun einmal unterliegen, weil wir unser Leben erhalten müssen. Und Herstellen bedeutet, dass wir, um uns über die Endlichkeit unseres Lebens hinwegzutrösten, eine Welt der künstlichen Dinge aufbauen, des Konsums.
Die »politische Freundschaft« hat für Arendt also ihren festen Platz im öffentlichen, durch Handeln gestalteten Raum. Und dieser Raum ist für uns Menschen überlebensnotwendig. In ihm wird das Gute, »das Vortreffliche«, gehört und gesehen und damit zur Realität. In ihm werden die Menschen versammelt, aber so, dass sie nicht »über- und ineinanderfallen«. Der Mensch ist hier Individuum und doch Teil einer Gemeinschaft, welche die Zeiten überdauert und somit eine überindividuelle Kontinuität sichert. Das Strukturprinzip dieser Gemeinschaft beruht auf den Prinzipien der herrschaftsfreien Kommunikation und der gleichberechtigten Gestaltung durch alle Mitglieder der Gemeinschaft.
In diesem öffentlichen Raum, so sagt Arendt, hat nun aber die Liebe zu einem einzelnen Menschen, die partnerschaftliche Liebe, keinen Platz. Denn sie sieht den Geliebten nicht mit seiner Vortrefflichkeit, seinen Stärken und Schwächen, auf die es zur Gestaltung der Welt ankommt, sondern rein als denjenigen, »der er ist«. Arendt argumentiert hier ähnlich wie Max Scheler. Der hatte gezeigt, dass die Liebe zu einem Menschen dessen Person erfasst, die nun mal mehr ist als die Summe seiner Eigenschaften. Arendt drückt es so aus, dass die Liebe »das, was sonst nur mitgesehen wird, in einer aus allen Bezügen herausgelösten Reinheit erblickt. In der Leidenschaft, mit der die Liebe nur das Wer des Anderen ergreift, geht der weltliche Zwischenraum, durch den wir mit anderen verbunden und zugleich von ihnen getrennt sind, gleichsam in Flammen auf. Was die Liebenden von der Welt trennt, ist, dass sie weltlos sind, dass die Welt zwischen den Liebenden verbrannt ist.« Liebe und Weltbezug passen nicht zusammen.
Aber welche Chance haben Liebende dann überhaupt über den Moment der puren Begegnung hinaus? Nach Arendt, die selbst keine Kinder hatte, ist das Kind, dieses Erzeugnis der Liebe, die einzige Möglichkeit für Liebende, wieder in die Welt zurückzukehren. Doch mit dieser Rückkehr, die das Happy End bedeutet, kommt die Liebe an ihr Ende. Sie muss dann die Beteiligten entweder von neuem ergreifen oder, so sagt Arendt, »sich in eine der vielen möglichen Formen der Zusammengehörigkeit umwandeln«. Als reine Liebe jedenfalls verträgt sie sich nicht mit der Welt, ja, sie ist für Arendt sogar »weltzerstörend, und daher nicht nur apolitisch, sondern antipolitisch«.
Arendts Wortwahl zeigt, welche Kraft sie der Liebe zuschreibt: Diese »verbrennt« die Welt, jenen Zwischenraum, der normalerweise zwischen Menschen besteht und vermittelnder Ort ihrer Begegnung ist. In ihrem posthum erschienenen »Denktagebuch« drückt sie es ähnlich aus: »In der Liebe gibt es keine Gemeinsamkeit, weil die Sphäre des Gemeinsamen, die Welt, gerade in ihr verzehrt ist. Wenn man Liebe … will, muss man alles und alle verlassen – also auch im Stich lassen.« Auch wenn biographische Interpretationen solcher Texte immer etwas heikel sind, fällt es hier doch schwer, nicht an Arendts
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