Ein unbeschreibliches Gefuehl
aus dem eine Geschichte werden kann oder ein Geschick.« Als 44-Jährige schrieb Hannah Arendt diesen Satz im Dezember 1950 in ihr »Denktagebuch«, das sie von 1950 bis 1973 führte. Damals lag die prägende Liebesbeziehung, die sie als Studentin erlebt hatte, lange hinter ihr. Doch die Begriffe, die sie zur Beschreibung der Liebe verwendete, verweisen auf dieses Ereignis zurück.
Hannah Arendt, die zeitweise gar keine Philosophin mehr sein wollte, weil sie während des Nationalsozialismus die Machtlosigkeit und weltanschauliche Anfälligkeit dieser Disziplin erlebt hatte, gehört zu den großen Denkerinnen und Denkern des 20. Jahrhunderts. 1924 ging sie zum Studium der Philosophie, Theologie und Klassischen Philologie nach Marburg. Hier hörte sie bei dem 17 Jahre älteren Martin Heidegger. Die beiden verliebten sich ineinander, doch die Beziehung musste geheim bleiben, da Heidegger seine Familie nicht aufs Spiel setzen wollte. 1926 suchte Arendt durch den Wechsel nach Heidelberg und Freiburg einen Schlussstrich zu ziehen. Gleichwohl beschäftigte sie die Begegnung mit Heidegger zeitlebens. Auch philosophisch blieb Arendt mit ihm im Gespräch – sogar nach Heideggers späterer Verstrickung in den Nationalsozialismus. Wenn sie über die Liebe in Begriffen wie »Ereignis« oder »Geschick« spricht, klingt darin Heideggers Sprache an.
Die Liebe taucht als Thema in Arendts Werk früh auf: Ihre Dissertation schrieb die junge Philosophin 1929 über den Liebesbegriff bei dem Kirchenvater Augustinus. Sie warf darin eine Frage auf, die für sie unbeantwortet blieb: wie denn jemand, der sich für die ausschließliche Liebe zu Gott um dieser Liebe willen entschieden hat, noch in der Lage ist, für andere Menschen da und somit »in der Welt« zu sein. Die christliche Nächstenliebe, so kritisierte Arendt damals, gebrauche den Mitmenschen doch als Mittel zum Zweck der Gottesliebe. Wer sich selbst verleugne, könne nicht wirklich in der Welt sein und zu ihr etwas beitragen.
Mit der christlichen Liebe hinaus aus der Welt: Um diese kritisch betrachtete Haltung ging es in der Dissertation. Mit der romantischen Liebe hinein in sie: Das war in Arendts Nachdenken über die Liebe der nächste Schritt. Wie ein Außenseiter entschlossen versucht, über eine Liebesbeziehung Mitglied der guten Gesellschaft zu werden, beschrieb Hannah Arendt am Beispiel der Schriftstellerin und Salondame der Romantik Rahel Levin, verheiratete Varnhagen von Ense. Im Jahr 1933, als das Buch fast fertig war, musste Arendt aus Deutschland emigrieren, die letzten beiden Kapitel entstanden 1938 im Pariser Exil. Denn Arendt war Jüdin und damit ein »Mädchen aus der Fremde« – genau wie Rahel, der sie sich deshalb auch besonders verbunden fühlte. Rahel ist »meine wirklich beste Freundin, die nur leider schon 100 Jahre tot ist«, schrieb Arendt im August 1936 an ihren Lebensgefährten, den Autor und späteren Philosophieprofessor Heinrich Blücher. Verheiratet war sie zu dem Zeitpunkt noch mit dem Schriftsteller Günther Anders, doch die Ehe war längst auseinander und wurde 1938 geschieden.
1940 heirateten Arendt und Blücher, im Folgejahr gelang ihnen die Emigration in die USA. Dort arbeitete Arendt als politische Journalistin, ab 1953 lehrte sie politische Philosophie an verschiedenen Universitäten. Sie schrieb fortan auf Englisch, aber in ihrer Muttersprache behielt sie eine geistige Heimat. »Es ist ja nicht die deutsche Sprache, die verrückt geworden ist«, sagte sie 1964 in einem Fernsehinterview. Im selben Jahr erschien ihr Bericht über den Prozess gegen den Nazi-Verbrecher Adolf Eichmann unter dem Titel »Eichmann in Jerusalem« auf Deutsch. Arendt stellt in dem Buch einen Widerspruch fest zwischen der unfassbaren Monstrosität der Judenvernichtung einerseits und der »erschreckenden Normalität« und teilweisen Lächerlichkeit derjenigen andererseits, die diese Morde angeordnet und durchgeführt haben. Berühmt geworden ist die Formel von der »Banalität des Bösen«. Manche warfen Arendt daher vor, in dem Buch das Grauen zu verharmlosen – was natürlich nicht stimmt. »Eine meiner Hauptabsichten war, die Legende von der Größe des Bösen … zu zerstören«, sagte sie in einem Fernsehinterview.
Als Politikwissenschaftlerin analysierte Hannah Arendt in ihrem Buch »Vita activa oder Vom tätigen Leben« (dt. 1960, engl.: »The Human Condition«, 1958) die Situation des modernen Menschen in der Arbeits- und Konsumwelt. Sie stellt
Weitere Kostenlose Bücher